Was hat es mit den Teeblättern auf sich, die Kaiser Qianlong während seiner Inspektionsreise pflückt und dann aufgrund eines unerwarteten Ereignisses in seiner Ärmeltasche versteckt?
Die Gegend um den Westsee ist bekannt als idealer Standort für Teepflanzen. Kaiser Qianlong, selbst ein profunder Teekenner, besucht während seiner Regentschaft (1735-1796) Hangzhou und die Teegärten am Löwengipfelberg. Als er dort ankommt, begeistert ihn der Anblick der lieblichen Landschaft: Sanft geschwungene Hügel überzogen mit Teesträuchern, Bäumen und bunten Blumen. Wie ein Gemälde betrachtet er sie staunend.
Während der Kaiser so andächtig durch die Teegärten wandelt, wird ihm eine Nachricht überbracht: Der Mönch und Teemeister des Hu Gong Tempels lässt zu einem ganz besonderen Genuss bitten. Der Kaiser folgt dieser Einladung und ehrfürchtig serviert ihm der alte Mönch seine wohlriechendste Auslese. Die Schale füllt sich mit Tee in hellstem Jadegrün. Zart im Aroma – etwas vom Besten, das der Kaiser je getrunken hat. Er fragt den Mönch nach dem Herstellungsverfahren und dieser führt ihn kurzerhand in den Teegarten. Dort erklärt er die Schritte im Einzelnen: Für den Drachenbrunnentee werden nur die jüngsten Sprossen verwendet. Nach der Ernte dämpft der Teemeister die Blätter sogleich portionsweise im heissen Wok. Danach werden sie mit einer Walze leicht gepresst. Der Kaiser würdigt diese aufwändige Arbeit der Herstellung. Auf dem Rückweg zum Tempel erblickt der Kaiser eine Gruppe Teesträucher, die über und über von den jüngsten und zartesten Sprossen bedeckt sind. Ihr Anblick erfüllt sein Herz so sehr mit Freude, dass er es nicht lassen kann, selbst Tee zu pflücken.
Vertieft in seine Arbeit, bemerkt er die Ankunft seines Dieners zuerst nicht. Doch dieser berichtet ihm von der Krankheit der Kaiserin Mutter. Sie wünsche sich die baldige Rückkehr ihres Sohnes an den Hof. Der Kaiser ist sehr besorgt und ordnet unverzüglich die Rückkehr in die Hauptstadt an. Die gerade gepflückten Teesprossen steckt er sich rasch in die Ärmeltasche.
Nach einigen Tagen erreicht Kaiser Qianlong mit seiner Gefolgschaft den Palast. Dort setzt er sich zur Kaiserin Mutter ans Bett. Glücklicherweise stellt sich heraus, dass sie nicht sehr krank ist – allerdings haben ihr zu üppige Speisen den Magen verdorben. Beim Anblick ihres Sohnes wird ihr wohl ums Herz. Wie sie so plaudern, steigt ihr plötzlich ein Wohlgeruch in die Nase. Sie fragt: „Kaiserlicher Sohn, was hast du denn Gutes aus Hangzhou mitgebracht“? Ohne nachzudenken fährt er mit seiner Hand in die Ärmeltasche und ertastet die nun getrockneten Teespitzen. Während er sie herausholt, meint er: „Ehrwürdige Mutter, dies ist von mir selbst gepflückter Westsee-Löwengipfelberg-Drachenbrunnentee.“
Über die nächsten Tage wird der ehrwürdigen Kaiserin Mutter von diesem Tee gereicht. Sie stellt mit Erstaunen fest, dass der Tee ihre Beschwerden lindert. Wohl auch, weil ihr Sohn die Teeblätter selbst gepflückt hat, ist ihre Gesundheit bald wiederhergestellt. So erzählt sie dem Kaiser eines morgens frohen Herzens: „Mein Sohn, dies ist wirklich ein himmlischer Tee, ein wahrhaftes Allheilmittel. Es hat deine alte Mutter gesund gemacht“. Als Kaiser Qianlong das hört, lacht er freudig. Er ordnet an, dass die 18 Teesträucher vor dem Hu Gong Kloster fortan für den kaiserlichen Bedarf reserviert sind. Und diese Teesträucher gibt es bis heute.
Ergänzendes Video: (Dauer 3 Min., English-Chinesisch)
Quellenangaben für diesen Bericht: Bild 1: “Qianlong and his court” von Giuseppe Castiglione (1688-1766), Wikipedia, Bild 2: 西湖龍井茶, Fotografiert von user Shizuha 2011, Wikipedia, Die Geschichte ist für diesen Bericht gekürzt. Sie stammt aus dem Buch „Tee. Süßer Tau des Himmels“, von Andreas Gruschke, Andreas Schörner und Astrid Zimmermann, erschienen im dtv Verlag 2001. Seite 72