Das Ereignis des 25. April: Aus der Sicht einer Berlinerin

An einem Apriltag des Jahres 1999 verfolgte Frau Lilge einen Bericht eines lokalen Deutschen Fernsehsenders über eine Ansammlung vieler chinesischer Menschen auf Bürgersteigen, die in der Nachbarschaft von Zhongnanhai, dem Sitz der chinesischen Zentralregierung, eine Petition einbringen wollten. Sogleich tauchte eine Frage auf. Gleichzeitig jedoch keimte auch Hoffnung auf.

Die Frage, die ihr durch den Kopf ging, war: „Gibt es die Versammlungsfreiheit in China wirklich?“ und „Wäre es möglich, dass es sich hierbei lediglich um eine Falle der kommunistischen Partei in China handelte?“ Andererseits war ihre Hoffnung auch sehr eindeutig, bei der Betrachtung der Menschen auf dem Fernsehschirm: Diese Menschen waren sehr friedlich, brachten zum Ausdruck, dass sie Vernunft besaßen. In dem Versuch, der Regierung ihre Meinungen widerzuspiegeln, illustrierte ihr Vorhaben, an der Entscheidungsfindung für ihre eigene Zukunft teilhaben zu wollen. Zweifellos braucht ein durch eine Diktatur regiertes Land solche Staatsbürger. Was sie im Fernsehen sah, war ein Gruppenappell, der am 25. April 1999 von zehntausend Falun Gong Praktizierenden in Beijing durchgeführt wurde.

Terror in Ostdeutschland

Als Chefredakteurin einer deutschen Zeitung, die alle zwei Wochen herauskommt, ist sie sehr feinfühlig bei den Angelegenheiten in kommunistischen Ländern. Diese Sensitivität rührt nicht nur von einem breit gefächerten Wissen und sorgfältiger Beobachtung und Analyse der Gegenwartskunde, sondern auch von ihrer persönlichen Erfahrung her.

Sie lebte selbst, in dem von der kommunistischen Partei regierten Ostberlin, als sie noch nicht sieben war. Oftmals vernahm sie: „Letzte Nacht wurde wieder jemand fortgeschafft“ in den Unterhaltungen der Erwachsenen. Niemand wusste genau, wohin diese Person gebracht wurde. Alles was sie wussten, war, dass die sowjetische Rote Armee diese Person mitgenommen hatte und sie möglicherweise nach Sibirien expatriiert wurde. Jedes Mal, wenn jemand an die Türe klopfte, war die erste Reaktion ihrer Eltern, Westdeutsche Zeitungen wegzuräumen und zu verstecken. Auch wurde das Radio ausgeschaltet, bevor sie die Türe öffneten. Ihr Vater warnte sie, das einzige, worüber sie jemals mit anderen diskutieren dürfe, sei das Wetter. Er befürchtete, ein so junges Mädchen, wie sie, könnte unabsichtlich diese „Geheimnisse“ preisgeben. Diese Zeit lag zehn Jahre vor dem Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961. Menschen, die in Ostberlin unter der sowjetischen kommunistischen Besatzung lebten, konnten immer noch in das demokratische Westberlin reisen. Es war ihnen jedoch nicht erlaubt, Sendungen von Westberlin zu hören, Westberliner Zeitungen zu lesen oder nach Westberlin überzusiedeln, wenn nicht eine Familie aus Westdeutschland im Gegenzug in den östlichen Teil einwanderte. Dank der Umsiedlung einer westdeutschen Familie nach Leipzig in Ostdeutschland, konnte die Familie von Frau Lilge schließlich im Jahre 1950 nach Westberlin umziehen.

Großzügiges Verhalten im Schatten

Wenn Frau Lilge, nun in den Sechzigern, über ihr früheres Leben im vormaligen Ostdeutschland spricht, empfindet sie immer noch ein Gefühl von Unsicherheit, das tief in ihrem Herzen verborgen ist. Als sie im April 1999 im Fernsehen sah, dass so viele Menschen in China, einem kommunistischen Land unter strikter Kontrolle, völlig unerwartet erlaubt wurde, solange Zeit im Gelände der Zentralregierung zu stehen, ohne von der Polizei gestört zu werden und ausländischen Nachrichtenmedien erlaubt war, das Ereignis zu filmen, warnten sie ihre Instinkte, dies könnte eine Falle der chinesischen Regierung gewesen sein. Ihre Zweifel wurden bekräftigt, nachdem sie den Bericht von Human Rights Watch und die Aussagen jener, die am 25. April an dem Appell teilgenommen hatten, las.

Seit sie die Nachrichtensendung im Fernsehen erlebt hatte, widmete sie der Entwicklung dieses Ereignisses besondere Aufmerksamkeit, in der Hoffnung, dass ein ähnliches Massaker von Studenten und Bürgern, wie jenes in Beijing im Juni 1989 sich nicht wiederholen möge. Das Jahr 1989 war genau das Jahr, in dem die Berliner Mauer fiel. In den Jahren vor und nach 1989 zerbrachen die kommunistischen Regierungen in Osteuropa, eine nach der anderen. Als Westberlinerin, fühlte sich Frau Lilge von diesen Veränderungen viel mehr betroffen, als viele andere Menschen in Westdeutschland, weil Westberlin buchstäblich eine einsame Insel war, von kommunistischen Staaten umgeben.

Westberlin hatte keine gemeinsamen Grenzen mit anderen Teilen Westdeutschlands. Die Verbindung zu Westdeutschland ruhte auf drei Autobahnen, drei Eisenbahnstrecken und Luftverkehr. Ostdeutschland hatte verschiedene Male versucht, die Verkehrsverbindungen zwischen Westberlin und Westdeutschland abzuschneiden. Obgleich Westberliner in einer Demokratie lebten, Informations- und Versammlungsfreiheit genossen und das Recht hatten sich an der Politik zu beteiligen, war ihr Leben von der kommunistischen Partei überschattet. Solche Erfahrungen haben sie gegen Selbstherrschaft in unerschütterliche Opposition gebracht. Sie ist tief davon überzeugt, dass jede Diktatur zum Aussterben verurteilt ist. Das ist nur eine Frage der Zeit.

Nach dieser Fernsehnachrichtenübertragung erhielt sie ein grundsätzliches Verständnis darüber, was sich in den Falun Gong Webseiten ereignete. Sie las auch verschiedene Berichte über Interviews, die mit Menschen, die an dem Ereignis teilgenommen hatten, geführt wurden. Die direkte Ursache, die zehntausend Falun Gong Praktizierende veranlasste, im April 1999 in Zhongnanhai zu appellieren, war ein Artikel, der von einem Tianjin-basierten Magazin veröffentlicht wurde, welcher Falun Gong verleumdete. Viele Falun Gong Praktizierende kamen nach Tianjin, um die Tatsachen zu erklären. Die Haltungen der Herausgeber waren anfänglich ganz liebenswürdig, doch bald veränderten sie sich drastisch. Die Polizei war vorgeladen und über dreißig Falun Gong Praktizierende wurden festgenommen, wobei einige verletzt wurden. Andere Praktizierende wandten sich an die Stadtverwaltung von Tianjin um zu appellieren, doch die Stadtverwaltung von Tianjin wollte nicht hineingezogen werden. Den Praktizierenden wurde geraten, eine Lösung in Beijing anzustreben. Deswegen wandten sich die Praktizierenden an das Petitionsbüro des Staatsrates, welches in der Nähe von Zhongnanhai gelegen ist. Begleitet von lokalen Praktizierenden aus Beijing, standen sie in den umliegenden Arealen von Zhongnanhai unter polizeilicher Lenkung. Niemand unternahm außergewöhnliche Handlungen.

Sind unterschiedliche Ergebnisse möglich?

Aus der Sicht von Frau Lilge, hätte jeder Schritt im Ablauf des Ereignisses zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen können, wenn das Ereignis sich in Deutschland abgespielt hätte. Wenn ein Magazin einen Artikel veröffentlicht, der von den Tatsachen abweicht und an den von vielen Menschen auf friedliche Weise für die Erklärung herangegangen wird, hätte das Zeitschriftenbüro die Stimme der Leser nicht vernachlässigt oder nebenan gestellt. Die Nachrichtenmedien in Deutschland erledigen ihre Aufgaben unabhängig. Ihr Wohlergehen hängt von den Lesern ab. Wenn sich sehr viele Leser an das Zeitschriftenbüro wenden, hat sogar der Chefredakteur dem Ereignis Aufmerksamkeit zu schenken. Für das Nachrichtenmagazin kann es nötig werden, seinen Irrtum zu korrigieren, sollte sich herausstellen, dass ein solcher Fall eingetreten ist. Es würde da keine Instruktionen von den Oberen geben, wie die Leser zu behandeln sind. Auch hätte keine Polizei anwesend zu sein.

Auf den zweiten Gedanken, selbst wenn die Polizei aufgeboten wäre, würde sie höchstwahrscheinlich als Beobachter dabeistehen. Gemäß den Erfahrungen von Frau Lilge bei verschiedenen Aufmärschen, würde sich die Polizei nicht einschalten, solange es nicht zu Gewalttätigkeiten oder Verletzungen kommt. Nach Ansicht von Frau Lilge, setzt jedoch die Einstellung der kommunistischen Partei in China die Standards für die Verhaftungen in China. Genauso wie Menschen im früheren Ostdeutschland von der sowjetischen kommunistischen Partei mitgenommen wurden, entspricht dies den Regeln der kommunistischen Partei.
Eine andere Überlegung ist, dass diese von der Polizei, bei einer friedlichen Zusammenkunft verhafteten Menschen, in Deutschland die deutsche Regierung verklagen können, weil die Regierung der Verfassung unterliegt und die Rechte der Bürger auf Rede- und Versammlungsfreiheit aufrechtzuerhalten hat. Außerdem operiert das Justizwesen unabhängig von der Regierung. Aus Gründen der Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen, wies die Deutsche Regierung die Polizei an, gegen die Versammlungsfreiheit von Falun Gong Praktizierenden einzuschreiten und wurde von Falun Gong Praktizierenden angeklagt. Nach einer gerichtlichen Betrachtung hat das Innenministerium der Bundesregierung öffentliche Entschuldigungsbriefe erlassen. Es handelt sich hier nicht um einen einzelnen Fall. Amnesty international hat in derselben Angelegenheit vor einigen Jahren ebenfalls erfolgreich gegen die Deutsche Bundesregierung geklagt. Frau Lilge ist davon überzeugt, solche Gerichtsfälle sind in westlichen Gesellschaften völlig normal, weil das Recht immer über der Regierung oder jedem privaten Individuum stehen sollte. Das Recht ist so entscheidend wie Brot und Wasser. Natürlich ist sie sich darüber im Klaren, dass in einem kommunistischen Staat alles von der kommunistischen Partei streng kontrolliert wird. Eine kommunistische Regierung wegen Nichteinhaltung legaler Vorgehensweise zu verklagen, ist so unplausibel, wie der Versuch, sich mit derselben Hand auf den Handrücken zu schlagen.

Weil die Rechte der Menschen auf die Veranstaltung eines Marsches oder eines Protestes in China nicht erlaubt sind, ist der einzige Weg für sie, an die Regierungsbehörde zu appellieren. Im Gegensatz dazu, sind Märsche und Proteste in Deutschland etwas ganz normales. Solange nicht Gewalt oder erniedrigende Banner bei dem Marsch eingesetzt werden, sind die Behörden verpflichtet, eine Erlaubnis zu erteilen und Polizisten zu entsenden, um den Marsch zu begleiten und die Anwesenden zu schützen. Dabei spielt es keine Rolle, wo die Proteste stattfinden, das Parlament und das Dienstgebäude des Ministerpräsidenten eingeschlossen, Menschen können sich dort aufhalten, solange sie auf Gewalt verzichten. Falun Gong Praktizierende hielten wiederholt über verschiedene aufeinander folgende Wochen friedliche Appelle vor dem Parlament und dem Dienstgebäude des Ministerpräsidenten ab, brachten ihre Wünsche zur Beendigung der Verfolgung gegen Falun Gong in China zum Ausdruck. Während des ganzen Ablaufs traten keinerlei Probleme auf. Frau Lilge ist der Auffassung, dies sei der Weg, wie er sein sollte. Weil eine Regierung, die die Macht zum Regieren durch zivile Wahlen erhält, haben die Autoritäten ernsthaft die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, die bevorstehende Wahl zu verlieren, falls die Regierung tatsächlich die Versammlungsfreiheit der Bürger einschränkt.

Entschuldigung oder Natur?

Die Tatsache, dass Jiangs Gruppierung die Verfolgung von Falun Gong innerhalb von drei Monaten nach Ablauf des 25. April Ereignisses begann, hat erneut Frau Lilge’s Verständnis über die kommunistische Partei bewiesen, das sie in den vergangenen sechzig Jahren als Westberlinerin und Weltbürgerin erlangt hatte. Das Verständnis ist, dass die kommunistische Partei immer die Menschen ins Extreme treibt und die kommunistische Partei immer Ausflüchte findet, um Demonstrationen zu unterdrücken, selbst wenn die Demonstrationen legal und friedlich sind und auf guten Gründen beruhen.

Weil der sechste Jahrestag des 25. April heranrückt, rief Frau Lilge die zahllosen Verfolgungsberichte, die sie gelesen hatte, sowie die Zeugnisse von in China verfolgten Praktizierenden, die sie aufgelistet hat, in Erinnerung. Die Schlussfolgerung, die sie daraus gezogen hat ist, dass Falun Gong eine Gruppierung ist, mit einem Wesen und einer Zielsetzung, das sich völlig von dem der kommunistischen Partei unterscheidet. Für diese Gruppe von Menschen, die einen unerschütterlichen Glauben an "Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit, Nachsicht" aufrechterhält und diese Prinzipien wertschätzt, mehr als das eigene Leben, würde die chinesische kommunistische Partei wiederum Ausflüchte fabrizieren, um sie zu unterdrücken, auch wenn der 25. April Gruppenappell nicht stattgefunden hätte. Der letztendliche Grund für die Unterdrückung von Falun Gong ist nicht der Gruppenappell vom 25. April 1999. Es ist die Natur von Manipulation und Unterdrückung der kommunistischen Partei.

Alle Artikel, Grafiken und Inhalte, die auf Yuanming.de veröffentlicht werden, sind urheberrechtlich geschützt. Deren nicht-kommerzielle Verwendung ist erlaubt, wenn auf den Titel sowie den Link zum Originalartikel verwiesen wird.

Das Neueste

Archiv