Warum ein Maler mit Demut nach Perfektion strebt

Die Perfektion ist die Ebene der Gottheiten. In der Malerei ist das realistische und präzise Wiedergeben einer Gottheit oder eines Menschen einer inneren Haltung, einem eigenen Verständnis geschuldet. Diese Form der Malerei würdigt und wertschätzt das Leben und ist ein Ausdruck des Respektes gegenüber der höchsten Ebene.

Folgendes geschah während der Song-Zeit im alten China. Im kleinen Ort Haizhou lebte eine Künstlerfamilie, die seit Generationen ihr Einkommen mit Bildnissen der Bodhisattwa Guanyin verdiente. Die Bilder der Familie He waren von hoher Qualität: exquisit, detailreich und mit grosser Sorgfalt und Hingabe gemalt. Das Malen eines Bildnisses benötigte ein Jahr bis es fertig wurde.

Eines Tages klopfte es an Herr He’s Türe. Als er sie öffnete, stand da ein schmutziger und schäbig gekleideter Mann auf seiner Türschwelle. Der Bettler hatte schlechte Haut, mit kleinen eiternden Verletzungen und er roch auch streng. In seiner Hand trug er einen Korb voller Karpfen.

Der Maler blieb ruhig und verachtete den Mann nicht. Er fragte ihn höflich: „Kann ich Ihnen mit Etwas behilflich sein?“ Worauf der Fremde antwortete: „Ich möchte meinen Korb voll Fische gegen ein Porträt von Guanyin eintauschen.“ Herr He erklärte dem Fremden, dass sie kein Fleisch essen würden. Aber er könne ihm auch ohne die Fische ein Portrait der Bodhisattwa geben. Er ging zu seinem Arbeitstisch und zeigte es dem Bettler. Dieser betrachtete das Werk und bemerkte: „Das Bild zeigt nicht das wahre Abbild der Guanyin. Ich habe ein Bild bei mir, auf dem sie anders aussieht.“

Guanyin (in Sanskrit, Avalokiteshvara), the bodhisattva of infinite compassion, is one of the most commonly depicted Buddhist figures in Chinese art. She was believed to have the ability to bless every suffering person in the mortal world. Although in India the bodhisattva was originally understood to be either genderless or male, in China, female manifestations such as this one were common. Link to image here.

Maler He war sehr überrascht und etwas aufgeregt. Sofort begann er seinen Tisch aufzuräumen, damit der Fremde besagtes Bild ausrollen könnte. Während der Fremde dies tat wartete Maler He draussen vor der Türe. Er wollte, bevor er das Bildnis sah, seine Gedanken reinigen, um es mit einem reinen Herzen betrachten zu können.

Dann trat er wieder ein, erfüllt von Vorfreude. Doch der Mann war nicht mehr da. Stattdessen stand da Bodhisattwa Guanyin in ihrer Heiligkeit, Feierlichkeit und Glanz. Herr He kniete nieder und sprach ein Gebet. Dann zündete er Räucherstäbchen zu Ehren von Bodhisattwa Guanyin an. Er war eingeladen worden sie ganz genau zu betrachten, damit er ihr Abbild präziser würde wiedergeben können. Während Herr He ihre Gestalt studierte, verblasste das Bildnis der Bodhisattwa allmählich.
Dann wehte eine wohlriechende Brise durch sein Haus und der liebliche Duft blieb noch während einigen Monaten in allen Zimmern hängen. Währenddessen malte Herr He neue Portraits von Bodhisattwa Guanyin, realistischer als jemals zuvor. Seine Maltechnik verbesserte sich und der gute Ruf der Bilder aus der Malerfamilie He verbreitete sich über Stadt und Land und in aller Ferne.

Hinweis: Die Erscheinung der Bodhisattwa Guanyin als Bettler war eine Prüfung für den gläubigen Maler. Dieser hatte sich sehr gut kultiviert, denn sein Herz blieb ruhig; er liess sich vom Aussehen des Fremden nicht bewegen.
Quelle für diese Geschichte: Treasured Tales of China Volume 2, Classical Poets Publishing Mount Hope New York, 2019, Seite 125

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