Yuan und die 10 Silbermünzen

Die Gottheiten kümmern sich um die Menschen, insbesondere wenn diese gut sind und Gutes tun.

Die Lotosblume, Symbol für Reinheit, Kultivierung, Sitz des Buddha (Foto: Pixabay, User: Pieonane)

Es war einmal ein junger Mann namens Yuan. Er lebte in ärmlichen Verhältnissen und hatte manchmal mehrere Tage hintereinander nichts zu essen. Gleichwohl lernte er gerne und las jedes Buch gewissenhaft, um die Beamtenprüfung zu bestehen. Die kaiserliche Prüfung wurde nur alle drei Jahre abgenommen. So machte sich Yuan zur rechten Zeit zusammen mit seinem Freund auf den Weg in die Hauptstadt. Sein bester Freund Shang, der aus einer wohlhabenden Familie stammte und ebenfalls die Beamtenprüfung bestehen wollte, übernahm die Reisekosten für Yuan.

Bald erreichten sie Jinling. Es war bekannt, dass es dort hervorragende Wahrsager gab, die das Schicksal exakt voraussagen konnten. Zusammen mit sechs weiteren Prüfungsanwärtern, die in der gleichen Gaststätte untergebracht waren, besuchten sie solch einen Wahrsager und ließen sich das Schicksal weissagen. Yuan war als letzter an der Reihe. Der Wahrsager betrachtete ihn und stellte ihm ein paar Fragen. Dann riet er ihm, sofort nach Hause zurückzukehren. Die anderen Studenten blickten einander erschrocken an und wunderten sich. Der Wahrsager meinte zu Yuan: „Du wirst innerhalb von fünf Tagen sterben. Es wird eine Art Unfall sein während du unterwegs bist.“

Die anderen Studenten wollten vom Wahrsager wissen, ob das Schicksal von Yuan irgendwie verändert werden konnte. Dieser antwortete: „Leben und Tod sind wichtige Themen. Wenn die De (Tugendsubstanz) eines Menschen aufgebraucht ist, kann ihm niemand mehr helfen.“ Enttäuscht und mit hängenden Köpfen gingen die jungen Männer in ihr Gasthaus zurück.

Yuan wollte den anderen nicht zur Last fallen und beschloss daher, Jinling noch am gleichen Abend zu verlassen und nach Hause zurückzukehren. Sein Freund Sheng schaute ihn freundlich und mitfühlend an. Er bezahlte seine Bootsfahrt und drückte Yuan noch 10 Silbermünzen in die Hand, zur Sicherheit, falls er sie unterwegs brauchte. Das Boot glitt auf dem Yangtze entlang, kam aber schon nach wenigen Stunden nicht mehr vom Fleck. Ein Sturm hatte sich erhoben, der von Stunde zu Stunde schlimmer wurde. Dem Schiffsführer blieb nichts anderes übrig, als das Boot an Land festzumachen und den Sturm abzuwarten. Dieser schien nicht enden zu wollen. Die Tage vergingen. „Morgen ist der fünfte Tag, der Tag an dem ich sterben werde“, dachte Yuan bei sich, während er am Ufer entlang spazierte, um sich die Zeit zu vertreiben.

Plötzlich hörte Yuan jemanden weinen. Als er näher kam, sah er eine schwangere Frau mit drei Kindern. Etwas verwundert näherte er sich der Frau und fragte, ob er ihr irgendwie helfen könne. „Ja“, meinte die Frau verzweifelt: „ Ich habe zwei Schweine verkauft, aber der Käufer hat mir anstatt 10 Silbermünzen nur 10 Kupfermünzen dafür gegeben. Nun wage ich nicht nach Hause zu gehen, aus Angst davor geschlagen zu werden.“

Als Yuan das hörte, war er traurig. Da er sich sicher war, nicht länger am Leben zu bleiben, wechselte er heimlich seine Silbermünzen mit den Kupfermünzen der Frau aus. Als sie ihm die Münzen zeigte, war es ihm ein Leichtes, sie auszutauschen. „Ach du meine Güte“ rief er aus, „beinahe hätten Sie einen schweren Fehler gemacht! Ihre Münzen sind ja gar nicht aus Kupfer, sondern aus Silber.“ Die Frau antwortete verärgert: „Ich habe verschiedene Händler gefragt und sie alle haben mir bestätigt, dass dies Kupfermünzen sind.“ „Bestimmt haben sie das nur gesagt, weil Sie eine Frau sind. Lassen Sie uns zu einem weiteren Händler gehen und ich werde Sie begleiten, dann bekommen Sie sicherlich eine ernsthafte Antwort.“ Die Frau war einverstanden und Yuan begleitete sie zu mehreren Händlern, die ihr alle bestätigten, dass ihr Geld Silbermünzen waren. Sie konnte es kaum glauben, war erleichtert und wurde wieder froh. Sie kehrte mit ihren Kindern nach Hause zurück.

Es wurde Nacht und Yuan fand Unterschlupf in einem heruntergekommenen, schäbigen Tempel. Erschöpft von den Ereignissen des Tages legte er sich hin. Während er einschlief, hörte er in der Ferne seinen Namen rufen. Er hob den Kopf und sah eine große Halle, die hell erleuchtet war. Dort standen zwei Wächter links und rechts vom Thron und in der Mitte befand sich eine König ähnliche Person, die wie Lord Guan aussah. Dieser gab einen Befehl: „Jemand am Flussufer hat heute fünf Leute gerettet. Geht und findet heraus, wer das war. Derjenige wird eine Belohnung erhalten und ein glückliches Schicksal bekommen. Der eine Wächter erklärte Lord Guan, dass der Wohltäter Yuan heiße, aber dass ihm sein Glück abhanden gekommen war und er dazu bestimmt sei, heute um Mitternacht von der Tempelmauer erschlagen zu werden. Lord Guan befand: „Wenn dies geschieht, wie können wir den Menschen raten, Gutes für andere zu tun? Ändert sein Schicksal und er soll die kaiserliche Beamtenprüfung mit der höchsten Note bestehen. Der andere Wächter ergänzte: „Es war Sheng, der Yuan das Geld gab, mit dem er diese gute Tat begehen konnte. Sheng sollte auch eine Belohnung bekommen.“ Das befürwortete Lord Guan sofort.

Yuan, der noch immer im Tempel lag und alles während seines Traumes mitgehört hatte, wurde von einer lauten Stimme geweckt, die ihn zum Verlassen des Tempels aufrief. Kaum war er draußen, stürzte die Tempelmauer ein und dort, wo er gerade noch gelegen hatte, türmten sich nun Steine übereinander. Er machte sich auf den Weg zurück zu der Stelle, wo der Bootsführer das Schiff verankert hatte. Als der Tag sich zeigte, betete er vor der Statue des Lord Guan und erinnerte sich an die Gespräche, die er im Halbschlaf mitbekommen hatte. Er ließ sich zurück zur Hauptstadt fahren und betrat die Gaststätte, in der alle Prüfungsanwärter untergebracht waren. Als Yuan zur Tür hereinkam, trauten sie ihren Augen nicht. Shang war sehr erfreut und sagte: „Dass du noch lebst, kann nur bedeuten, dass du ab jetzt ein gutes Schicksal haben wirst!“ Freudig aßen sie gemeinsam zu Abend.

Am nächsten Abend besuchten sie aus reiner Neugierde den Wahrsager ein zweites Mal. Dieser war sehr überrascht und betrachtete Yuan ganz genau. Er sagte: „Du musst jemandem das Leben gerettet haben; nur mit einer solch guten Tat (und dem Bekommen von Tugendsubstanz) kann erklärt werden, dass sich dein Schicksal so positiv verändert hat. Du wirst die Prüfung als Jahrgangsbester bestehen und im nächsten Jahr eine Stelle mit hohem Rang in der National-Akademie erhalten. Und du wirst 80 Jahre alt werden.“ Dann wandte er sich Shang zu und ergänzte: „Du wirst die Beamtenprüfung ebenfalls bestehen.“ „Ich, wieso ich,“ wunderte sich Shang, „ich habe doch keine gute Tat vollbracht.“ Der Wahrsager lächelte und sagte: „Aber ja, du hast gute Taten vollbracht und zwar mit einem absichtslosen Herzen. Und nur solche zählen.“

Auf dem Weg zurück in das Gasthaus erzählte Yuan seinem Freund was er erlebt hatte, und dass er nur dank seiner 10 Silbermünzen der Frau hatte helfen können. „Weil du mir selbstlos geholfen hast, wirst du von den Gottheiten beschützt.“ „Aber nein“, entgegnete Shang, „dies ist deinem gütigem Herzen zu verdanken. Ich sollte dir danken!“

Ihre Bescheidenheit ehrte sie. Ihre Herzen schimmerten wie Gold, wie die zarte Schönheit der Lotosblume, frei von Anhaftung – rein.

Quelle: Treasured Tales of China Vol. I Seite 98 bis 101, 2018 Middle Kingdom Publishing, Mount Hope, New York

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