Geschichten aus der medizinischen Praxis: Verletzung (Teil II)

Jane ist Gymnastiklehrerin und körperlich sehr gesund, zumindest scheint es an der Oberfläche so. Sie liebt Sport und Fußball ist dabei ihr Favorit. Jedes Mal, wenn sie mich in meiner Praxis besuchen kommt, hat sie durch den Sport entweder einen blauen Fleck, einen verrenkten Knöchel oder ein verletztes Knie.

Auf meinem Nachhauseweg kam ich an dem Fußballfeld vorbei, auf dem Jane spielte. Ich entschied mich anzuhalten und bei ihrem Spiel zuzuschauen. Sie trug etwas, was ich sofort erkannte. An diesem Tag war sie die Torhüterin. Sie war schneller als der Blitz und es war kaum vorzustellen, wie sie sich so agil bewegen konnte. Sie spielte den Ball ohne zu zögern und ich war über ihre fortgeschrittenen Fähigkeiten erstaunt.

Als ich ihr den Daumen nach oben hielt, freute sie sich wie ein Kind.

Als sie das nächste Mal in meine Praxis kam, lobte ich noch einmal ihr Können, wenn ich nur daran dachte, wie ängstlich ich war, wenn mir ein Ball entgegenflog.

Sie erzählte mir, “Wenn ich Fußball spiele, dann stelle ich mir oft vor, dass der Ball mein Stiefvater ist. Er hätte niemals gewagt mich anzufassen, wenn ich vor zwanzig Jahren schon so stark gewesen wäre. Damals war ich so schwach wie ein Kind. Wenn meine Mutter früher verstorben wäre, hätte ich ihn ins Gefängnis gebracht.” Ihre Stimme war voller Hass. Ich hatte das Gefühl, ihr Hass könne nicht aus ihrem Herzen verbannt werden. Ich konnte mir vorstellen, was geschehen würde, würde sie ihn heute sehen würde.
Ich fragte sie, von welcher Seite sie die Epilepsie geerbt habe, von mütterlicher oder väterlicher Seite.

Sie antwortete, “Von mütterlicher Seite, von meiner Großmutter.” Sie schaute mit einem schweren Herzen. “Als ich erniedrigt und missbraucht wurde, wünschte ich mir krank zu sein. Später konnte ich krank werden, wann immer ich wollte, es war eine Art Schutz. Schließlich bekam ich Schwierigkeiten beim Gehen.“

Ich fragte sie, “Weiß deine Mutter davon?”
Sie sagte, “Sie wusste alles. Ich hatte weitere Geschwister und wurde zum Opfer erwählt, damit sie den Schlägen entkommen konnten. Er schlug meine Mutter auch. Meine Mutter war eine Buddhistin. Sie glaubte an Ursache und Wirkung und sagte immer wieder, „Wir haben in unserem früheren Leben etwas Falsches getan und müssen in diesem Leben die Vergeltung dafür erleiden. Obwohl dich dein Stiefvater schlecht behandelt, versorgt er uns mit Brot. Deshalb sollen wir ihm verzeihen.“

Sie sagte dann, “Ich wusste im Herzen, dass nichts in dieser Welt umsonst ist. Wegen des Brotes für die Familie, musste ich dieses Leiden ertragen, ansonsten hätte meine Familie betteln gehen müssen. Mein Stiefvater muss auch für seine Vergehen zahlen. In der Zukunft wird Gott uns für unsere Taten richten. Ohne dass ich nur ein Wort sage, würde Gott die gerechte Entscheidung fällen und ihn in die Hölle für seine schlechte Seele stoßen.”

Neben der Epilepsie litt Jane auch unter Hypochondrie. Sie ist auf Medikamente angewiesen, da sie an chronischem Gedächtnisverlust und Alpträumen leidet. Ihr seelisches Befinden ist instabil und sie ist zudem sehr nervös, was ihre Verwandten, Freunde und Kollegen belastet. Sie ist hypersensibel und glaubt, andere würden sie durch versteckte Anspielungen angreifen. Nur einige wenige Freunde kennen ihre Erlebnisse in der Kindheit und können ihre ungewöhnliche Persönlichkeit verstehen. Sie gibt ihr Bestes ihre Denkweisen zu ändern, jedoch kann sie es nicht aufgeben, da die Verletzung zu tief sitzt. Sie lebt in ständiger Anspannung.

(wird fortgesetzt)

Übersetzt aus dem Englischen:
http://www.clearharmony.net/articles/200307/13852.html

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