Die Welt, 09.04.02: „Es muss weiterhin die deutliche Kritik an China geben“

Berlin – Das Thema Menschenrechte überschattet und prägt den Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Jiang Zemin in Deutschland. Auch der Menschenrechtsbeauftragte des Auswärtigen Amtes, Gerd Poppe, hat im Vorfeld des Besuches angemahnt, dieses Thema deutlich anzusprechen. Mit ihm sprach Sophie Mühlmann.

DIE WELT: Die rot-grüne Regierung sagt von sich selbst, die „diplomatische Zurückhaltung“ gegenüber China überwunden zu haben. Würden Sie das bestätigen?

Gerd Poppe: Soweit ich mich erinnern kann, haben wir, zumindest was das Auswärtige Amt, mich und den Außenminister betrifft, mit China immer Klartext geredet. Es gibt zum Einen den institutionalisierten „Rechtsstaatsdialog“, den der Bundeskanzler vereinbart hat. Der beinhaltet allerdings viele unterschiedliche Rechtsfragen. Aber daneben haben wir ja auch andere Dialogmöglichkeiten, die mir immer in der öffentlichen Wahrnehmung etwas zu kurz kommen. Vor allem der Menschenrechtsdialog zwischen der Europäischen Union und China ist sehr intensiv.

DIE WELT: Werden denn Ihrer Meinung nach alle Möglichkeiten ausreichend ausgeschöpft?

Poppe: Nun, das Ergebnis ist natürlich unbefriedigend. Wir führen diese Diskussion mit China seit etlichen Jahren, und es sind immer die gleichen Themen, die wir unablässig anschneiden: die exzessive Anwendung der Todesstrafe, die Administrativhaft, die Repressionen gegen Religionsgemeinschaften, die Unterdrückung der Tibeter und Uiguren. Die Erfolge sind bisher leider sehr dürftig. Das einzige, was in den letzten Jahren festzustellen ist: die Gesprächsbereitschaft auf chinesischer Seite ist deutlich gestiegen. Früher wurde jeder Versuch abgewehrt, indem man gesagt hat, Menschenrechte sind eine rein westliche Vorstellung.

DIE WELT: Sind die Chinesen nicht vielleicht einfach nur geschicktere Diplomaten geworden, wenn sie nach außen hin mehr Bereitschaft signalisieren?

Poppe: Das ist im Einzelnen nicht messbar. China ist nunmal ein kommunistischer Staat, da sind die Möglichkeiten begrenzt. Die Volksrepublik ist ja keine Demokratie, und es besteht auch nicht die Absicht, eine Demokratie nach unseren Vorstellungen einzuführen. Solange das so ist, werden wir es mit solchen Defiziten zu tun haben.

DIE WELT: Gibt es überhaupt konkrete Reformbereitschaft?

Poppe: Die gibt es zum Beispiel dort, wo das System selbst in Gefahr gerät, wie etwa beim Thema Korruption. Hier ist es durchaus glaubhaft, wenn die chinesische Führung verspricht, massiver dagegen vorgehen zu wollen. Diese Reformbereitschaft ist aber immer dann am Ende, wenn das System als solches in Frage gestellt wird. Wenn sich etwa eine demokratische Partei konstituiert, dann verschwinden die Mitglieder für dreizehn Jahre im Gefängnis. Da ist die Grenze des Dialogs für die chinesische Seite offensichtlich erreicht. Das befriedigt uns natürlich überhaupt nicht.

DIE WELT: Beugt man sich nicht ein bisschen zu sehr den Vorgaben der Chinesen?

Poppe: Ich kann natürlich nicht für das Kanzleramt sprechen. Aber von meiner Warte als Menschenrechtsbeauftragter im Auswärtigen Amt kann ich sagen, dass es die Menschenrechtsdebatte gibt, auch jetzt beim Besuch Jiang Zemins in Berlin. Der Außenminister hat im Übrigen immer wieder sehr deutlich diese Probleme angesprochen. Es ist natürlich die Frage, ob man das auch ständig öffentlich machen muss. Da gehen die Meinungen auseinander. Ich glaube, man muss beides tun: auf der einen Seite muss man interne Gespräche führen, in denen man zum Beispiel etwas für Einzelpersonen erreichen kann, wenn es etwa um die Freilassung politischer Gefangener geht. Das ist in letzter Zeit übrigens in mehreren Fällen gelungen. Auf der anderen Seite muss es auch die öffentliche und deutliche Kritik geben. Wie zum Beispiel die gerade gegenüber China sehr deutliche Rede Fischers vor zwei Wochen in Genf.

DIE WELT: Sind sie denn zuversichtlich, dass der stete Tropfen den Stein höhlen wird?

Poppe: Ja, aber ich bin trotzdem nicht zufrieden. Ich werde trotzdem immer sagen, die Menschenrechte müssen noch viel deutlicher angesprochen werden. Wenn wir gegenüber China Stillschweigen üben, dann wird sich gar nichts ändern. Die Chinesen werden nur dann etwas ändern, wenn wir sie ständig daran erinnern und ständig mit diesen Themen konfrontieren.

Gespräche über Menschenrechte

Berlin – Abgeschirmt von Presse und Öffentlichkeit, hat am Dienstag der offizielle Teil des sechstägigen Deutschlandbesuchs von Chinas Staatspräsident Jiang Zemin begonnen. Jiang traf in Berlin zu Gesprächen mit Bundespräsident Johannes Rau und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zusammen. Rau empfing den Staatsgast am Morgen zunächst mit militärischen Ehren. Eines der Hauptthemen der anschließenden Unterredung zwischen Rau und Jiang war nach Angaben einer Sprecherin des Bundespräsidenten die Menschenrechtssituation in China. Wie schon am Montag wurde der Besuch Jiangs von Protesten gegen die fortgesetzte Verletzung von Menschenrechten in China begleitet. Einige Dutzend Mitglieder von Amnesty International, der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ sowie der in China verbotenen Falun-Gong-Bewegung hielten Mahnwachen vor dem Amtssitz des Bundespräsidenten und dem Kanzleramt. Die sonst bei Staatsbesuchen üblichen Pressetermine, bei denen der Staatsgast sich den Fragen der Journalisten stellt, gab es diesmal
nicht. ddp

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