Time Magazine (Titelseite): Dein Geist, Dein Körper

Illustration von Brian Cronin

Wenn du deine Augen schließt, und eine Weile darüber nachsinnst, so, wie Philosophen das Jahrhunderte lang getan haben, scheint die Welt unserer Gedanken sehr unterschiedlich von der zu sein, die unser physischer Körper bewohnt. Der Raum der Psyche in unseren Köpfen ist unendlich und ewig. Es scheint offensichtlich zu sein, dass er aus einem anderen Stoff gemacht ist, als all die anderen Organe. Schneidet man den Körper, so tropft Blut heraus. Aber schneidet man in das Gehirn, kommen dort keine Gedanken und Emotionen über den Operationstisch herausgesprudelt. Liebe und Wut können nicht in einem Reagenzglas zum Messen und Wiegen gesammelt werden.

Rene Descartes, der große französische Mathematiker und Philosoph aus dem 17. Jahrhundert engte diese metaphysische Aufteilung ein in das, was als der Dualismus von Körper und Geist bekannt wurde. Viele östliche mystische Traditionen, die über denselben inneren Raum nachsannen, sind zum entgegengesetzten Ergebnis gekommen: Sie lehren, dass der Geist und der Körper eine untrennbare Einheit bilden. In der Vergangenheit haben Ärzte und Wissenschaftler dazu tendiert, diese Ansicht als Unfug abzutun, aber je mehr sie über das innere Funktionieren des Geistes lernen, umso mehr wird ihnen klar, dass zumindest in diesem Aspekt, die Mystiker richtig liegen und Descartes vollkommen daneben.

Jetzt stimmen Psychologen und Neurologen überein, dass Geist und Körper nicht so verschieden sind. Das Gehirn ist nur ein Organ unter Vielen, jedoch ein Komplizierteres als die Anderen. Die Gedanken und Emotionen, die unsere Realität zu färben scheinen, sind das Ergebnis von einem komplexen elektrochemischen Zusammenspiel in und unter den Nervenzellen. Die geisterhaften Stimmen der Schizophrenie, die Minderwertigkeitsgefühle und der Hass gegen sich selbst, der Depressionen begleitet – obgleich es so scheint, als hätten sie etwas mit der Realität zu tun, sind sie nichts weiter als Verzerrungen im elektrochemischen Geschehen des Gehirns. Forscher lernen, wie diese Störungen auftreten, wie man ihre Härte abmindern und – in einigen Fällen – korrigieren kann.

Die Wissenschaftler entdecken auch noch etwas Anderes: Nicht nur, dass das Denken wie der Rest des Körpers ist, sondern auch das Wohlbefinden ist eng miteinander verknüpft. Das macht Sinn, weil sie sich dasselbe System teilen – Nerven, Kreislauf, Endokrines und Immunsystem. Was in der Bauchspeicheldrüse oder Leber passiert, kann die Gehirnfunktion direkt beeinflussen. Anders herum können Fehlfunktionen des Gehirns biochemische Schockwellen aussenden, die direkt den Rest des Körpers stören. Unser jährlicher Spezialreport über Gesundheit nimmt sie auf Entdeckungsreise mit zu den neusten Erkenntnissen der psychosomatischen Forschung, in denen Wissenschaftler, die großen Fehler von Descartes hinter sich lassend, auskundschaften, wie das Gehirn arbeitet, wie es Fehler macht und was getan werden kann, wenn es schief geht.

Quelle: http://www.time.com/time/covers/1101030120/story.html

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