Tages-Anzeiger, 09.05.2003: Propaganda soll Ehre der KP retten

Der Künstler und sein Panda ziehen in die Schlacht: Stumm und entschlossen stehen sie vor einer Wand, im Kampfanzug, beide über dem Mund eine Maske, beide in der Hand eine Kalaschnikow. Zhao Bandi ist berühmt für die Poster, die ihn im Dialog mit seinem Plüschpanda zeigen. Die Botschaft seines neuesten Bildes ist eindeutig: China ist im Krieg, jetzt wird gekämpft bis zum letzten Bären.

Das Werk ist ein Echo auf die Zeitungen, die es ihren Lesern jeden Tag entgegenbrüllen: Eine «grausame Attacke» hat das Land getroffen, ein «brutales Virus» – Sars. Aber fürchtet euch nicht, heisst es in den Berichten weiter, denn China besitzt mindestens zwei Geheimwaffen: «die Führung durch unsere Partei und den Geist unserer Nation». «Weiss gekleidete Krieger» ziehen nun «an die Front», «unerschrockene Helden», wahre Vertreter einer «grossartigen Nation»: «Der Triumph wird unser sein.» So steht das in Chinas Zeitungen, so tönt das aus seinen Fernsehapparaten, Tag für Tag. Von Schweigen kann keine Rede mehr sein. Zuerst enthielt man den Bürgern die Informationen vor, nun ersäuft man sie darin, und erstaunlicherweise ist das Ergebnis nicht selten das gleiche: Verwirrung und Desinformation.

Am 20. April feuerte China seinen Gesundheitsminister und versprach der Welt und seinen Bürgern, fortan die Wahrheit zu berichten. Im Ausland ist seither von einer «neuen Offenheit» Pekings die Rede. Das stimmt teilweise: China liefert nun täglich neue Infektionszahlen und informiert seine Bürger über die Gefahr durch das Virus.

Hat die Führung also gelernt aus dem Desaster? Dafür gibt es leider nur wenige Anzeichen. Bis heute hat sich Peking nicht entschuldigt dafür, dass es durch sein Vertuschen und Lügen dem Virus den Weg in die Welt geebnet hat. Bis heute sind die wahren Verantwortlichen weiter an der Macht. Und nun versuchen die Herrscher sogar, Nutzen aus der von ihnen verursachten Katastrophe zu ziehen, schwingen sich selbst auf zu Rettern aus höchster Not. Dazu aber müssen sie die Wahrheit und den Zweifel erneut begraben. Deshalb zieht Peking in den Krieg: Krieg schüchtert ein, Krieg schliesst die Reihen, Krieg gibt der Propaganda die Macht über die Wirklichkeit.

Die Zwangsjacke der Zensur

Die Herren in Peking haben es da leichter als ihre Kollegen in Washington: In China sind Journalisten seit jeher nicht bloss «eingebettet» in die kämpfende Truppe – ihr Kampfanzug war schon immer die von der Partei übergestreifte Zwangsjacke, in ihrem Laptop ist die Fernsteuerung gleich eingebaut. Am anderen Ende ist die Kommandozentrale: die Propagandaabteilung der KP. Dort sitzt als Kontrolleur der unbequemen Wirklichkeit Li Changchun; es fügt sich, dass Chinas neuer Oberzensor Li zuvor Gouverneur der Provinz Guangdong war, jener Provinz, die den Ausbruch von Sars monatelang geheim hielt.

Gemäss der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua legte Li schon am 25. April, fünf Tage nach Beginn der «neuen Offenheit», die neue Linie fest. Es gelte, in Zeiten der Gefahr das Volk «zum Patriotismus zu erziehen» und den «grossartigen Nationalgeist» zu entfalten, der da lautet: «Die Massen stehen fest wie eine Burg, sie sind wie ein Herz und eine Seele.» Und wo stehen sie? Unter der «starken Führung» der KP. Zudem soll das Volk nun zwar mit Sars-Berichten überschüttet werden, aber bitte: «Medien aller Ebenen sollen sich stets an die Prinzipien der Ermutigung und der positiven Propaganda halten.»

Und so regnet es seit zwei Wochen Engel in China, «Engel in Weiss»: Die Partei hat die Ärzte und Krankenschwestern des Landes für ihre Propagandaschlacht zwangsrekrutiert. Die Titelseiten quellen nun über vor heroischen Geschichten von der «Front». Am 1. Mai wurden in Guangdong 30 Schwestern und Ärzte einer Sars-Abteilung in einer öffentlichen Zeremonie in die KP aufgenommen, verstorbene Kollegen wurden zu «revolutionären Märtyrern» erklärt. Engel aller Engel ist die an Sars verstorbene Krankenschwester Ye Xin, die noch auf dem Sterbebett ihre letzte Kraft zusammennahm, um auf einen Zettel zu schreiben, ihre Kollegen sollten ihr doch bitte fern bleiben, es sei zu gefährlich.

Es ist ein cleverer Schachzug der Partei, sich hinter der aufopferungsvollen Arbeit der Ärzte und Schwestern zu verstecken und sie zu vereinnahmen; jedes Lob für sie wird zum Lob für die Partei umgebogen, jede Kritik wird unmöglich, wird zu Undankbarkeit und Sabotage. Clever also und von unglaublicher Unverfrorenheit: Man wüsste schon gern, was die Schwestern davon halten, dass sie nun jenen Rehabilitierung und Glorienschein liefern sollen, denen sie zu einem Gutteil Gefahr und Tod erst verdanken.

Überhaupt, die TV-Nachrichten: In Zeiten von Sars ist das Verlesen von Ergebenheitsadressen an die Parteiführung nicht genug; täglich läuft nun zwischen den Meldungen ein Polit-PR-Spot, in dem sich zu dramatischer Musik der Reihe nach die wichtigsten Politbüromitglieder winkend dem Jubel der Massen stellen, dazu ist der oben erwähnte Slogan zu lesen: «Die Massen stehen fest wie eine Burg . . .»

Die KP-Führer sind die Erben von Lenin und Chinas kaiserlichen Dynastien. Dass sie nach Belieben mit ihren Untertanen verfahren, ist nichts Ungewöhnliches. Erstaunlich aber ist, wie sehr ihre Propaganda noch immer funktioniert – im Informationszeitalter, bei einem Volk, das von eben dieser Partei schon unzählige Mal verraten wurde: bei den Hungersnöten in den 60ern, in der Kulturrevolution, am Platz des Himmlischen Friedens 1989. China leistet sich ein sagenhaft kurzes Gedächtnis.

Eine Umfrage Ende April ergab, dass sich die grosse Mehrheit der Pekinger erst in dem Moment Sorgen über Sars machte, als die Regierung es zum Problem erklärte, obwohl sie schon Wochen zuvor Bilder mit Sars-Panik aus Kanton und Hongkong zu sehen bekamen. Ja, es gab dann Zorn und Kopfschütteln. «Aber 90 Prozent der Menschen sind nun gerührt von der Arbeit der Regierung», glaubt der Aids-Aktivist Hu Jia. «China ist ein 1,3-Milliarden-Volk. Und die meisten haben keinen Zugang zu anderen Informationen. Sie können nicht anders, als der Regierung zu glauben.»

«Der Kaiser hat immer Recht»

Das aber ist nur ein Teil der Erklärung. Es braucht mehr: das Gefühl der Ohnmacht, das den Chinesen über Jahrtausende hinweg in die Knochen gekrochen ist. «Das Problem ist die Unterwürfigkeit der Chinesen, die Sklavenmentalität», meint die Schriftstellerin Hong Ying. «Der Kaiser hat immer Recht.» Wenn er auf einen Hirsch zeigt und sagt, das sei ein Pferd, dann ist der Hirsch eben ein Pferd. Und die KP ist die Retterin Chinas. In der praktischen Politik macht es keinen Unterschied, ob der Glaube nur vorgeschützt ist: Auf die Geste der Unterwerfung kommt es an. Und wenn die Sars-Krise sich als nur kurzfristig erweist, wird die Regierung mit ihrer Chuzpe wohl durchkommen.

Chinas Führung ist neu, manche unterstellen Parteichef Hu Jintao Reformgelüste. Mag sein, für ein Urteil darüber ist es noch zu früh. Dies aber sind die letzten Nachrichten aus China: Zhang Dongming, als Pressechef des Propagandaamtes in Guangdong entscheidend verantwortlich für die Vertuschung des Sars-Ausbruches in der Provinz, wurde versetzt: Er ist nun Chefredaktor des «Südlichen Wochenendes», bis vor kurzem eine der mutigsten und liberalsten Zeitungen des Landes. Und eine Produktionsfirma in Peking gab bekannt, sie plane einen Film über eine selbstlose Krankenschwester, die sich mit Sars infiziert und einen tragischen Tod stirbt. Gong Li ist für die Hauptrolle angefragt.

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