Tages-Anzeiger, 05.05.2003: Chinas Medien auch bei Sars am Gängelband

Am 27. Februar diesen Jahres überraschte die Guangdonger Zeitung «Südliches Wochenende» mit einer Titelgeschichte über «Chinas Medien: Verantwortung und Richtung». Journalisten und Akademiker schlugen darin mutige Töne an, so forderten sie die Regierung auf, nicht länger «negative Nachrichten zu unterdrücken». «Die Presse ist nicht bloss Sprachrohr für Informationen von Regierung und Partei», erklärte beispielsweise Zhou Ruijin, ein früherer Redaktor der «Volkszeitung»: «Sie sollte auch rechtzeitig veröffentlichen, was die Gesellschaft wissen muss.» Keiner der Leser wusste damals, welch ironischen Beiklang diese Worte nur Wochen später im Rückblick bekommen sollten – denn keiner ahnte, dass just zu dem Zeitpunkt in eben jener Provinz Guangdong die Katastrophe der Lungenkrankheit Sars im Entstehen war. Keiner ahnte, wie dringlich jene Worte waren – und wie sehr sie erneut missachtet werden sollten.

Selten wurde so eindringlich klar, welch fatale Rolle noch immer jenen aufgezwungen ist, welche Chinas Herrscher als ihre «Kehle und Zunge» beschreiben – gleichzeitig aber zeigten sich feine Risse, durch die einmal das Licht echter Öffentlichkeit dringen könnte. Chinas Medien sind in den letzten Jahren bunter geworden, weil sie ihr Geld mittlerweile selbst verdienen müssen. Das hat manche Beobachter zu der Annahme verleitet, die Presse sei mittlerweile auch freier – Sars hat erneut gezeigt, wie falsch diese Annahme ist.

Partei und Regierung haben die Medien noch fest im Griff: Als in Hongkong längst Alarm herrschte, erschien der erste Bericht in Pekings Blättern: ein paar magere Zeilen auf Seite 8 unter Überschrift «Sars unter effektiver Kontrolle». Kritiker der Informationspolitik fanden sich am 9. April in der «China Daily» wieder als «Anti-China-Clique» und noch am 19. April in der «Volkszeitung» als «bösartige» Verleumder. Heute sind die Zeitungen zwar voll mit Sars-Berichten, aber auch die neue Linie ist von oben gesteuert und betont stets das Positive.

Die Propagandaabteilung der Partei bestimmt regelmässig, welche Themen tabu sind, welche Sprachregelungen gelten. Wer gegen die Zensur verstösst, muss mit Konsequenzen rechnen. In keinem anderen Land sitzen so viele Journalisten im Gefängnis: 39 sollen es im Moment sein. Einer davon ist Jiang Weiping, acht Jahre Haft haben ihm seine Artikel über Korruption in Chinas Nordosten eingebracht. Wahrscheinlich verantwortlich für Jiangs Verhaftung ist Bo Xilai, einst Bürgermeister von Dalian. Der bei ausländischen Investoren beliebte Bo wurde mittlerweile zum Gouverneur von Liaoning befördert und gilt als Jungstar der KP.

Aber Jiangs Beispiel zeigt: Es gibt mittlerweile mutige Journalisten in China und Zeitungen, die ab und an ihre Berichte drucken. Und das Sars-Desaster ist Wasser auf ihre Mühlen. Schon melden sich – wieder in Guangdong – Stimmen: Es zirkuliert ein offener Brief von Journalisten, in denen die Regierung aufgefordert wird, Rechenschaft abzulegen, und es erscheinen erneut Kommentare, die Reformen fordern: «Diese Krise zeigt, wie notwendig es ist, früh und klar dem Volk die Wahrheit zu berichten», schrieb kürzlich die populäre «Südliche Stadtzeitung». Ob Chinas neue Führung wohl ähnlichen Mut besitzt?

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