Tages-Anzeiger: Wanderarbeiter flüchten aus Peking. Die Sars-Epidemie verbreitet Panik in der chinesischen Hauptstadt.

In Peking breitet sich Angst aus. Chinas Behörden scheinen die Versäumnisse der letzten Monate mit verschärftem Galopp wieder ausbügeln zu wollen; gleichzeitig warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Mittwoch vor Reisen nach Toronto, Peking und in die chinesische Provinz Shanxi (siehe Kasten).

Alle Schulen geschlossen

In Chinas Hauptstadt werden zur Vorbeugung alle Schulen geschlossen, gleichzeitig sind nach der «Pekinger Morgenpost» auf den Strassen der Stadt Inspektoren unterwegs, die bei Verdacht auf Sars-Infektion Leute in Quarantäne bringen sollen.

Die Erziehungsbehörden der Stadt gaben am Mittwoch bekannt, dass Pekings 1,7 Millionen Schüler die nächsten zwei Wochen bis zum 7. Mai zu Hause bleiben sollen. Am selben Tag teilte die Regierung mit, in Peking seien mittlerweile 35 Menschen an Sars gestorben und fast 700 infiziert – 20- mal so viele, wie noch vor einer Woche behauptet worden war. China hat nun weltweit die meisten Todesopfer zu beklagen; im ganzen Land waren es bis Mittwoch 106, in der schwer betroffenen Stadt Hongkong 105.

Viele Bürger reagieren mit neuer Furcht, seit die Regierung am Wochenende den Gesundheitsminister entliess, Offenheit versprach und gelobte, mit aller Kraft gegen die Ausbreitung des Virus zu kämpfen, weil sonst eine «Katastrophe» drohe. Gerüchte, die Hauptstadt solle abgeriegelt werden, sind so weit verbreitet, dass sich die Regierung am Mittwoch auf verschiedenen Webseiten zu einem Dementi genötigt sah. Manche Wohnblocks lassen Putzfrauen, Handwerker und Briefträger nicht mehr aufs Gelände; Wanderarbeiter und andere Auswärtige versuchen, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Ein Heer von Menschen wartete gestern Morgen vor dem Pekinger Hauptbahnhof, in der Hoffnung, noch eine Fahrt in die Heimat zu ergattern. Fast alle trugen Atemschutzmasken.

Die Gerüchte über eine mögliche Abriegelung von Peking haben in der Hauptstadt zu ersten Panikkäufen geführt. In den grossen Supermärkten kauften die Menschen Reis, Mehl, Salz, Öl und vor allem Fertignudeln, wie das grosse Kaufhaus Carrefour berichtete.

Automesse vorzeitig beendet

In Shanghai ist die internationale Automesse Auto China aus Furcht vor einer Verbreitung der Lungenkrankheit vorzeitig beendet worden. Die grösste Automobilshow, die es je in China gab, hätte bis Sonntag dauern sollen. Mehr als 700 Unternehmen aus 20 Ländern hatten ihre neusten Modelle vorgestellt.

Die im Lande befindlichen Inspektoren der WHO warnten in den letzten Tagen mehrmals vor einer Ausbreitung der Seuche in Chinas Hinterland: Vor allem die ärmeren Provinzen sind auf eine solche Krise nicht vorbereitet, haben weder Personal noch medizinische Ressourcen, um damit fertig zu werden. Die Nationale Tourismusbehörde verbot «grosse Tourgruppen, interregionale Reisen und Reisen aus und in von Sars betroffene Gebiete».

© Tages-Anzeiger; 2003-04-22; Seite 1

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