Stuttgarter Zeitung: Chinas ganz normale Katastrophe

Alljährlich todbringende Flut

Zu tausenden kämpfen Chinas Bauern in diesen Tagen auf den Deichen entlang der Flüsse gegen das Hochwasser. Mehr als 600 Menschen sind in den Sommerfluten ums Leben gekommen. Die Überschwemmungen sind aber nur ein Teil der alljährlichen Wetterkatastrophe.

Von Harald Maass, Peking

Der Pegelstand des Huai-Flusses sei noch immer über „über der Warnstufe“, meldete am Montag die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Der Fluss war in den vergangenen Wochen mehrmals über die Ufer getreten und hatte dabei einen Schaden von 18 Milliarden Yuan (1,9 Milliarden Euro) angerichtet. Zehntausende Menschen entlang der Ufer mussten vorübergehend ihre Häuser verlassen. Am Jangtse, Chinas längstem Fluss, waren in der vergangenen Woche 400 000 Soldaten im Einsatz, um die Deiche zu verstärken und Sandsäcke zu stapeln.

Nach Angaben des Ministeriums für zivile Angelegenheiten sind bisher 140 Millionen Chinesen von den Fluten betroffen. Der wirtschaftliche Gesamtschaden wird auf 40 Milliarden Yuan (4,2 Milliarden Euro) geschätzt. 500 000 Häuser wurden zerstört.

Was für Europäer wie eine Jahrhundertkatastrophe klingt, ist für China normal. Jedes Jahr, wenn die Sommerregen einsetzen, treten in Zentral- und Südchina die Flüsse über die Ufer. „Hong shui“ (das „große Wasser“) nennen die Bauern entlang des Jangtse die jährlich wiederkehrenden Flutwellen. Durchschnittlich 1000 Menschen sind in den vergangenen Jahren in den Fluten ums Leben kommen. 1998, beim größten Hochwasser der vergangenen Jahre, starben mehr als 4000 Chinesen.

Ebenso regelmäßig wie die Sommerhochwasser im Süden sind die Dürrekatastrophen im Norden. Seit Mai leiden acht nördliche Provinzen an der größten Wasserknappheit seit Gründung der Volksrepublik 1949. Die Ernten von hunderttausenden Bauern ist bedroht. Besonders betroffen ist die Provinz Heilongjiang, wo fünf Millionen Hektar Ackerland, etwa die Hälfte aller Felder, ausgetrocknet sind. In der südöstlichen Provinz Fujian seien 53 Wasserreservoirs beinahe leer, berichten die Behörden. 310 000 Menschen sind ohne angemessene Versorgung mit Trinkwasser.

Die Launen der Natur sind nur ein Teil der Erklärung für die jährlich wiederkehrende Katastrophe. Die Menschen tragen Mitschuld. „Der Grund für die Wasserknappheit ist nicht nur das Klima, sondern auch der Zuwachs im Wasserverbrauch“, sagt Professor Hong Shangchi von der Wasserschutzkommission. Im Zuge der Industrialisierung der vergangenen Jahre wurden immer tiefere Brunnen gegraben und so der Grundwasserpegel gesenkt. Weil der Staat die Wasserpreise künstlich niedrig hält, wird Wasser vielerorts verschwendet oder durch Industrieabwässer verschmutzt.

Die Hochwasser entlang der Flüsse sind auch eine Folge des Bevölkerungswachstums und der Industrialisierung. In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele der natürlichen Auffangbecken besiedelt und Feuchtgebiete trockengelegt. Weil viele der Wälder in den Flusstälern abgeholzt wurden, sammelt sich Regenwasser schneller in den Flüssen, die sich in reißende Ströme verwandeln. Chinas Probleme mit dem Wasser seien „ein Konflikt zwischen Entwicklung und der Natur“, sagt Cheng Xiaotao vom Institut für Wasserressourcen und Hydroenergie. Zwar hat die Regierung in den vergangenen Jahren die Gesetze zum Schutz von Natur und Wasserressourcen verschärft. Doch Pekings Führung scheint nach wie vor davon überzeugt zu sein, dass der Mensch sich die Natur untertan machen muss. Mit Hinweis auf die Fluten wurde am Jangtse der umstrittene Drei-Schluchten-Staudamm gebaut, dessen Stausee im Juni erstmals gefüllt wurde.

Auch bei der Bekämpfung der Dürre verlässt China sich auf seine Ingenieure: Mit einem riesigen Kanalsystem soll im nächsten Jahrzehnt Wasser vom Süden in den trockenen Norden gepumpt werden. 180 Milliarden Yuan (19 Milliarden Euro) wird das Riesenprojekt kosten. Umweltschützer warnen: Der Kanal könnte „Chinas Wasserhaushalt völlig aus dem Gleichgewicht bringen“, befürchtet die Journalistin Dai Qing.

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