FAZ (Deutschland): Zehntausende Chinesen festgenommen

09. September 2004/ Die chinesischen Sicherheitskräfte haben in den vergangenen Tagen mehrere zehntausend Bittsteller aus ganz China, die sich in Peking aufhalten, um bei den zentralen Behörden Petitionen einzugeben, festgenommen.

Mit den Festnahmen soll offenbar verhindert werden, daß eine von den Bittstellern offiziell beantragte Demonstration am 18. September in Peking zustande kommt. Zu dieser Zeit wird in Peking das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei zusammentreten. Die Sicherheitskräfte sollen nach Einschätzung von Bürgerrechtlern verhindern, daß es während der Versammlung der Parteiführer zu Protesten kommt.

Kopfprämie auf Bittsteller

Es ist eine übliche Vorgehensweise in Peking, daß zu nationalen Feiertagen oder Parteikonferenzen Dissidenten, Bürgerrechtler und religiöse Aktivisten unter Hausarrest gestellt oder verhaftet werden. Eine Verhaftungswelle von diesem Umfang ist aber seit der Unterdrückung von Falun Gong vor fünf Jahren nicht bekanntgeworden.

Polizisten aus Peking und den Provinzen sind nach Angaben der in New York ansässigen Organisation "Human Rights in China" vom Donnerstag in die Unterkünfte von Bittstellern eingedrungen, haben Papiere beschlagnahmt und Eigentum zerstört und die Antragsteller mitgenommen. Viele von ihnen sind offenbar mißhandelt worden. Mindestens 36 000 Menschen seien festgenommen worden. Davon seien viele in ein Sportstadion im Pekinger Stadtteil Shijingshan gebracht worden. Dort würden die Menschen registriert, gegen ihren Willen in Busse gebracht und in ihre Heimatprovinzen zurückgeschickt. Die einzelnen Provinzen hätten eine Kopfprämie auf die Bittsteller ausgesetzt.

Recht auf Demonstration in Verfassung verankert

Hunderte von Bittstellern hatten am 24. August bei der Polizei in Peking einen offiziellen Antrag für eine Demonstration am 18. September eingereicht. Sie beantragten die Genehmigung für eine Demonstration von zehntausend Personen auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens, mit der sie gegen Enteignungen, Behördenwillkür, Korruption und andere Mißstände demonstrieren wollten.
Das Recht auf Demonstration ist in der chinesischen Verfassung verankert. Die Antragsteller hätten sich genau an die Vorschriften gehalten, sagt die Anwältin Li Yulan, eine Pekinger Bittstellerin. Der Antrag sei – von mehreren Personen unterschrieben – der Polizei übergeben worden.

Obdachlos wegen Störung öffentlicher Ordnung

Drei Tage später wurde einer der Hauptorganisatoren der Demonstration, der Pekinger Ye Guozhu, zur Polizei beordert unter dem Vorwand, man wolle mit ihm über den Antrag sprechen; am Abend wurde seinem Sohn telefonisch mitgeteilt, sein Vater sei festgenommen worden, weil er die öffentliche Ordnung gestört habe. Ye Guozhu ist Opfer einer Zwangsräumung in Peking, sein Restaurant und seine Wohnung wurden abgerissen, ohne daß er angemessen entschädigt wurde. Er und seine Familie sind seither obdachlos.
Sein Bruder versuchte im vergangenen Jahr, auf dem Platz des Himmlischen Friedens aus Protest Selbstmord zu begehen. Er überlebte, wurde aber für den Selbstmordversuch zu drei Jahren Haft verurteilt.

Appell für Gerechtigkeit, da keine unabhängige Justiz

Die Demonstration für den 18. September ist wie bislang alle in Peking beantragten Demonstrationen nicht genehmigt worden, die Sicherheitskräfte fürchten aber nach Einschätzung der Antragsteller, daß sich die Bittsteller trotzdem an dem Tag versammeln werden. Bereits im August hatte es einen Demonstrationsversuch gegeben, der aber von Massen von Sicherheitskräften schnell aufgelöst wurde.
Die chinesische Parteiführung sieht die Bewegung der Bittsteller als Gefahr an. Immer mehr Menschen aus allen Teilen Chinas sind in den letzten Jahren nach Peking gekommen, um bei den zentralen Regierungsstellen Petitionen einzureichen. Das Recht auf Petitionen ist ebenfalls in der Verfassung verankert. Da es in China keine unabhängige Justiz gibt, sehen die Menschen in dem Appell an Peking die letzte Hoffnung, Gerechtigkeit zu erreichen. Die meisten der Bittsteller sind Opfer der großen Abriß- und Umbauwelle in China, durch die Millionen von Menschen umgesiedelt werden. Es wird geklagt, daß Entschädigungen nicht ausreichend seien, gar nicht gezahlt oder von korrupten Beamten unterschlagen würden. Es gibt aber auch Petitionen gegen Polizeigewalt, Behördenwillkür und Fehlurteile der Gerichte. Die meisten Petitionen bleiben ergebnislos, da die zentralen Behörden die Fälle an die örtlichen Behörden zur Überprüfung zurückverweisen, die die ursprüngliche Entscheidung getroffen haben.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.09.2004, Nr. 211 / Seite 1

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