Berliner Zeitung, 16. Januar 2002: Das Böse kommt von außen

Berliner Zeitung, 16. Januar 2002

Otto Mann

PEKING. Staats- und Parteichef Jiang Zemin hat die chinesischen Massenmedien erneut aufgefordert, sich gegen ideologische Einflüsse von außen zu stemmen und auf der Parteilinie zu bleiben. Auf einer am Wochenende beendeten Konferenz von Kadern der Medien und der Publizistik wurden "Richtlinien" für die Berichterstattung in den Print- und elektronischen Medien erörtert, mit denen die ideologische Zuverlässigkeit und die "stabile Atmosphäre" gesichert werden soll.

Wie ähnliche Versammlungen der letzten Wochen orientiert auch die jüngste Tagung auf die reibungslose Vorbereitung des 16. Parteitages der Kommunisten im Herbst dieses Jahres, wenn ein großer Teil der Führungskader ausgewechselt und die Strategie für die kommenden fünf Jahre festgelegt wird. Gleichzeitig sollen die Genossen für die neuen Herausforderungen gerüstet werden, die mit der wirtschaftlichen Globalisierung und dem Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO) auf das Land zukommen.

China hatte bereits im vergangenen Jahr die Überwachung der Medien angezogen, nachdem mehrere private Zeitungen bei der
Kritik an der Korruption und den Missständen auf dem Lande sehr weit gegangen waren. So war der Chefredakteur der in
Guangzhou (Kanton) erscheinenden populären Wochenzeitung "Wochenende im Süden" ausgewechselt worden, weil sich die örtlichen Behörden ins Licht der Kritik gestellt sahen. Im November letzten Jahres waren Millionen Exemplare der bekanntesten Börsenzeitung eingezogen worden, weil sie unverhüllte Kritik an Parlamentspräsident Li Peng und den Geschäften seiner Familie geübt hatte. Der Autor des Artikels soll verhaftet worden sein. Auch die Internetüberwachung wurde wieder verstärkt. Nachdem
die Zensoren mehrere üblicherweise gesperrte Seiten während der Gipfelkonferenz des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsrates (APEC) in Shanghai freigegeben hatten, waren die Adressen nach dem Gipfel wieder blockiert worden.

Angst vor neuem Gedankengut

Nach wie vor sind auch Webseiten gesperrt, die von taiwanesischen Stellen, wie von der hier zu Lande verbotenen
Meditationsbewegung Falun Gong und von tibetischen Exilorganisationen, betrieben werden. Bereits am Jahresende 2001 hatte die Zentrale Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit eine Direktive erlassen, in der die Chefredaktionen aufgefordert wurden, ihre Mitarbeiter strenger zu kontrollieren. Speziell die Darstellung "sensitiver Themen" müsste sich exakt an die Parteilinie halten. Auf der Medienkonferenz der letzten Woche hieß es, es müsse alles getan werden, um "ideologisches Chaos" zu vermeiden. Damit soll der politischen Unterwanderung gegengesteuert werden, die von der weiteren Öffnung der Märkte und dem damit verbundenen Eindringen ausländischen Gedankenguts befürchtet wird.

China versucht den Spagat zwischen der weitgehenden Liberalisierung der Wirtschaft und der politischen Kontrolle, mit der die innere Stabilität und die Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei gesichert werden soll. Immer mehr Redaktionen sowie Rundfunk- und Fernsehsender, die nicht mehr staatlich subventioniert werden, sondern sich auf dem Markt behaupten müssen,
versuchen indessen, ihre Freiräume zu erweitern. Dabei ist es besonders die direkte Kritik an der Korruption oder Unfähigkeit örtlicher Regierungs- und Parteistellen, die den Unmut der Zensoren hervorruft und periodisch neue Maulkorbkampagnen auslöst.

http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/media/.html/108807.html
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