Berliner Zeitung, 08.04.2002: MENSCHENRECHTE

BERLIN, 7. April. Zwei mächtige Männer wird Kanzler Gerhard Schröder diese Woche treffen – den Missbrauch ihrer Macht aber will die Bundesregierung öffentlich nicht ansprechen. Fragen der Menschen- und Bürgerrechte stehen völlig im Hintergrund bei den Besuchen des chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin und seines russischen Kollegen Wladimir Putin in Deutschland. Die Bundesregierung, die sich das Thema Menschenrechte 1998 groß auf die Fahne geschrieben hatte, wird deshalb auch von Politikern der SPD und der Grünen kritisiert.

Den Verzicht auf offene Stellungnahme begründet das Kanzleramt mit mangelnden Erfolgsaussichten. Dem Ziel, die Menschenrechte in China zu stärken, diene der begonnene Rechtsstaatsdialog besser als „öffentliche Kritik“, sagen Schröders Berater. Zugleich räumen sie ein, dass die dezenten Gespräche über rechtsstaatliche Grundsätze und Verfahren keine konkreten Fortschritte erbracht haben. Es gehe um einen „Prozess der Bewusstseinsbildung über längere Zeit“, heißt es. Nur so lasse sich die Entwicklung in China beeinflussen.

Tatsächlich hat sich die Menschenrechtslage eher verschlechtert. Nach Angaben von Amnesty International (ai) stieg die Zahl der Todesurteile 2001 deutlich an. Zu befürchten sei, dass auch die muslimische Minderheit der Uiguren davon künftig besonders betroffen ist, sagt die ai-Leiterin Deutschland, Barbara Lochbihler. Das Vorgehen Pekings gegen die Uiguren habe mit dem angeblichen Kampf gegen Terrorismus „oft nicht das Geringste zu tun“.

Harter Verfolgung ist in China auch die Meditationsbewegung Falun Gong ausgesetzt. Mitte März erst wurden im nordchinesischen Changchun zahlreiche ihrer Mitglieder verhaftet, laut Amnesty International droht ihnen Folter. Anhänger von Falun Gong wollen am heutigen Montag in Berlin gegen Jiang Zemin demonstrieren, den sie als Hauptverantwortlichen der Unterdrückung betrachten.

Die Leisetreterei der Bundesregierung wird quer durch die Parteien moniert. Sie erwarte, dass die Menschenrechtsverletzungen bei Jiangs Besuch „offen angesprochen“ werden, sagt die Grünen-Politikerin Christa Nickels, Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte. Der CDU-Abgeordnete Hermann Gröhe wirft der Regierung vor, sie sei „dramatisch zurückgeblieben hinter ihrem Anspruch, den Menschenrechten neue Bedeutung zu geben“.

Wie sehr heikle Themen mittlerweile verdrängt werden, zeigt auch der Besuch Putins diese Woche in Weimar. Zwar könne Tschetschenien bei den Gesprächen „nicht ausgespart werden“, sagt ein Kanzler-Berater auf Nachfrage. Öffentliche Debatten über Menschenrechte oder auch die Gefährdung der Medienfreiheit in Russland, die noch vor einem Jahr die Bundesregierung alarmiert hatte, seien jedoch „nicht zielführend“.

Die Rücksichtnahme führen Kritiker neben ökonomischen Interessen Deutschlands auch auf den 11. September zurück. Weil China und Russland sich zum gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus bekannt und zudem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat haben, werden sie nicht nur von den USA umworben.

Bundesaußenminister Joschka Fischer hat beide Länder Ende März davor gewarnt, unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung Menschenrechte zu verletzen. Wichtiger als die Menschenrechte aber seien auch für Rot-rün „geostrategische und wirtschaftliche Interessen“, vermutet Amnesty-Chefin Lochbihler.

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