Schon in jungen Jahren begann Hans Holbein der Jüngere (1487 – 1543 n. Chr.) bei seinem Vater, Hans Holbein dem Älteren, einem anerkannten Künstler in der flämischen Tradition und begabten Portraitisten, Malerei zu studieren. Im Alter von achtzehn Jahren verließ er seine Heimat, um in die Schweiz zu gehen und ließ sich in Basel nieder, wo er sich rasch als Buchillustrator, blendender Dekorateur und als Experte der Portraitkunst etablierte. Sein Portrait von Erasmus von Rotterdam, das gleich nach der Niederlassung des berühmten Künstlers in Basel gemalt wurde, gibt uns ein wirklich unvergessliches Bildnis eines Mannes der Renaissance.
Im Jahre 1522 wurde der Protestantismus in Basel eingeführt und nahm an Umfang und Bedeutung in den folgenden Jahren beachtlich zu. Als 1526 schwere ikonoklastische Ausschreitungen und strikte Pressezensur über die Stadt hereinbrachen, führte dies zu einem Einfrieren der Künste. Erasmus legte Holbein nahe, das Land zu verlassen, um neue Aufträge zu suchen und gab ihm einen Empfehlungsbrief für Sir Thomas More, Kanzler von England unter Henry VIII, mit. 1526 wandte sich Holbein, mit dem Empfehlungsschreiben von Erasmus, an den englischen Staatsmann und Schriftsteller Sir Thomas More und ließ sich in London nieder. Ende 1526 verließ er Basel, reiste nach England und erreichte sofortige Erfolge. Seine eindruckvollsten Werke dieser Zeit, wurden für More ausgeführt, sie beinhalten ein großartiges Portrait des Humanisten.
Holbein kehrte 1528 nach Basel zurück und setzte seine Einnahmen in England zum Kauf eines Hauses für seine Familie ein. Basel jedoch, das fanatisch protestantisch wurde, war nun im Griff von religiösen Turbulenzen. Trotz freizügiger Angebote und Bitten seitens des Stadtrates von Basel, verließ Holbein seine Frau und Kinder im Jahre 1532 ein zweites Mal, um die letzten 11 Jahre seines Lebens vorwiegend in England zu verbringen. 1533 malte er bereits Persönlichkeiten am Hofe und vier Jahre danach trat er offiziell in die Dienste von König Henry VIII von England ein.
Man vermutet, dass Holbein in den letzten zehn Jahren seines Lebens annähernd 150 Portraits angefertigt hat, lebensgroße und Miniaturen, gleichermaßen von Mitgliedern des Königshauses und des Adels. Diese Portraits reichten von einer großartigen Serie, die deutsche Kaufleute abbildete, die in London arbeiteten, bis zu einem Doppelportrait der französischen Botschafter und Portraits des Königs und seiner Frauen.
Das Bild „Die französischen Botschafter“ ist das bekannteste Werk von Holbein. Es ist mehr als ein Portrait von Jean de Dinteville und Georges de Selve. Es reflektiert die politische Beziehung zwischen England und Frankreich, die damalige religiöse Revolution sowie seine persönliche Lebensphilosophie.
Jean de Dinteville und Georges de Selve ("Die französischen Botschafter")
1533
Öl auf Eiche, 207 x 209 cm
National Gallery, London
Man beachte das halbverdeckte Kruzifix hinter dem grünen Vorhang oben links
Dieses Bild setzt zwei gesunden, gebildeten und kraftvollen jungen Männern ein Denkmal. Links ist Jean de Dinteville, 29 Jahre alt, 1533 französischer Botschafter in England. Rechts steht sein Freund, Georges de Selve, 25, Bischof von Lavaur, der bei verschiedenen Gelegenheiten als Botschafter für den Imperator, die Republik von Venedig und den Heiligen Stuhl agierte.
Die beiden Männer stehen zu beiden Seiten eines mit einer Kollektion von Objekten bedeckten Tisches, welche mit dem Quadrivium, den vier mathematischen Wissenschaften der Sieben Freien Künste: Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie in Zusammenhang gebracht werden können. Doch dies ist nicht das traditionelle Quadrivium der neuen Mittelalterlichen Universität, sondern das Quadrivium des Neuen Wissens auf der Grundlage von direkter Erfahrung und mit praktischer Anwendung.
Die gezeigten Instrumente und Bücher reflektieren die Gestaltung auf dem Tisch selbst, indem diese auf der oberen Ablage für das Studium von Himmel und Himmelskörpern (Himmels- oder Sternenglobus, Kompass, Sonnenuhr, zylindrischer Kalender, Wasserwaage und Quadrant) dienen, während die Objekte auf der unteren Ablage mehr mit den alltäglichen, weltlichen Dingen zu tun haben. Daher befindet sich links – neben dem weltlich gesinnten Dinteville – eine aufgeschlagene Ausgabe von Peter Apian’s Buch über Kalkulationen für Kaufleute (1527 in Ingolstadt veröffentlicht) und rechts – nahe dem Bischof – eine Ausgabe von Johann Walthers „Geystliches Gesangbüchlein“ (Hymnen) (Wittenberg 1524), das Luthers Hymnen enthält. Es ist auf der Seite einer Hymne von Martin Luther aufgeschlagen: „Komm heiliger Geist und inspiriere unsere Seelen“. Unter den Objekten auf der unteren Ablage befindet sich eine Laute, ein Flötenetui, ein Hymnenbuch, ein Buch über Arithmetik und eine Erdkugel.
Holbein hat auf dem Globus auf der unteren Ablage einige Modifikationen vorgenommen, wie unterschiedliche Rechtschreibung wie „Pritannien“ für „Britannien“. Die bedeutendste Modifikation ist die Einbeziehung von „Gesetzeswerk“, Dintevilles feudalherrschaftlichem Grundbesitzbesitz.
Gewisse Details könnten als Referenzen auf zeitgenössische religiöse Sparten interpretiert werden. Die gerissene Lautensaite zum Beispiel könnte religiöse Konflikte andeuten, während das Hymnenbuch Luthers einen Appell für christliche Harmonie darstellen mag. Holbeins Verhalten ist dokumentiert durch zwei Hymnen von Luther in Walthers Gesangbuch.
Die stabile, ausgewogene, ernste Komposition wird nur durch eine lange graue Kontur unterbrochen, die sich diagonal vom Boden erhebt. Wenn sie aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet wird, wird diese Kontur als ein „Totenkopf“ oder Schädel erkannt – was Holbeins Interesse an Symbolik und radikalen Perspektiven reflektiert.
Was könnte wohl die Bedeutung des Totenkopfs in diesem Gemälde sein?
In der westlichen Welt war der Totenkopf immer ein Symbol für Sterblichkeit. Niemand kann dem Tod entkommen. Er ist ein Symbol des kompromisslosen Jüngsten Gerichts, sowie der Ewigkeit der Zeit.
Die beiden jungen Gelehrten und Botschafter hatten einen sozialen Status von Reichtum, Wissen und Ruhm erreicht, doch sie wirken nicht stolz oder selbstgefällig. Im Gegenteil, sie wirken ein bisschen traurig und melancholisch. Vielleicht hatten sie bereits erkannt, dass das Leben kurz und vergänglich ist und dass aller Ruhm und Reichtum sich bald in Nichts auflöst. Selbst die Freundschaft zwischen ihnen wird nur noch in diesem Portrait in Erinnerung bleiben. Kunst mag das Leben des Menschen überdauern, doch nur die Wahrheit wird für immer überdauern.
Das Gemälde fordert uns auf, Unsichtbares der unsichtbaren Wahrheit oder den Tod, der hinter der Oberfläche von Erscheinungen ist, zu sehen. Es mag ein Hinweis sein, dass man hinter die Oberfläche schauen soll und Dinge aus einer anderen Perspektive betrachten muss, um die Wahrheit herauszufinden. Wenn ein Betrachter dieses Portrait von vorne anschaut, wird er leicht von der Schönheit der Details berührt sein und den Totenkopf nur als einen Schatten wahrnehmen. Doch wenn ein Beobachter dieses Portrait aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet, wird er den verborgenen Totenkopf oder die Wahrheit erkennen, doch die beiden Männer und der luxuriöse Raum werden dann verzerrt und bedeutungslos sein. Was ist Wahrheit? Was ist Illusion? Der Künstler scheint zu sagen, dass alltägliche Menschen dazu tendieren, illusionären Dingen an der Oberfläche zum Opfer zu fallen. Sie tendieren dazu, Illusionen als Wahrheit und Wahrheit als Illusionen zu betrachten.
Der Totenkopf ist auf solche Weise dargestellt, damit ein Optimum an Betrachtungspunkt für das Richtige des Bildes erzeugt wird, was leicht zu einer Position führt, die ein Erwachsener einnehmen könnte, wenn er im richtigen Winkel zu der Wand steht, an der das Bild aufgehängt ist, was voraussetzt, dass dieses sich in relativ niedriger Höhe befindet.
Gemälde
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