Der Klang der Glocke weckt Lebewesen auf

Bekannterweise wird sowohl in Tempeln als auch in Kirchen mit Glockengeläut zum Gottesdienst gerufen.

Haupthalle des buddhistischen Tempels Tôdaiji in Nara, Japan. Foto: Public Domaine/Wikipedia

Im buddhistischen System wird nicht nur zu den Gebetsstunden geläutet. Die Glocken haben noch eine weitere Funktion. Im Buddhismus besteht der Wunsch, dass alle Lebewesen errettet werden sollen.

Die Glocke, die von einem Mönch geläutet wird, soll bewirken, dass suchende Seelen aufwachen können. Es ist eine Wahrheit, dass nur derjenige rechtschaffen handeln kann, der aufrichtige Gedanken hat. Der Mönch, der die Glocke für die Lebewesen läutet, kann die gewünschte Wirkung nur erreichen, wenn er diese Aufgabe als eine heilige Pflicht auf seinem Kultivierungsweg versteht.

Zu dieser Erkenntnis gelangte auch ein junger Mönch in folgender Erzählung:

Dem Meister helfen, die Lebewesen zu erretten

„In diesem kleinen Tempel gibt es nur zwei Mönche – dich und mich“, sagte der junge Mönch zu dem Älteren und schaute sehr unglücklich drein. „Immer wenn ich den Tempel verlasse, den Berg hinuntergehe, um in der Stadt um Essen oder Almosen zu betteln, werde ich von den Leuten beschimpft.“

Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Besucher unseres Tempels lassen nicht einmal genügend Geld für uns da, um Räucherwaren zu kaufen. Wie soll deine Vision, dass unser Tempel dereinst ein Ort sein wird, wo die Glocken ununterbrochen läuten, Wirklichkeit werden?“

Der ältere Mönch hörte dem jungen Mönch mit geschlossenen Augen aufmerksam zu. Nach einer Weile sagte er: „Der Nordwestwind bläst heute stark. Ist Dir nicht kalt?“ „Ja“, antwortete der junge Mönch, „und wie kalt mir ist!“ „Dann lass uns heute Abend früh zu Bett gehen“, entgegnete der ältere Mönch.

Als sie in ihren Betten lagen, nahm der ältere Mönch das Gespräch über die Situation im Tempel wieder auf. Er fragte den jungen Mönch, ob ihm nun warm sei und dieser bejahte, dass die dicke Patchwork-Decke ihre Wirkung zeige. Der alte Mönch meinte, dass die Decke wohl nicht von sich aus wärme, sondern die Körperhitze des Schlafenden die Decke warm werden lasse. „Wie siehst du das?“, fragte er den jungen Mönch. „Macht die Decke dich warm oder wärmst du die Decke?“

Der junge Mönch lachte den älteren Mönch aus: „Es ist doch klar, dass nicht die Decke die Wärme abgibt, sondern diese von demjenigen stammt, der unter der Decke liegt.“ Da wollte der ältere Mönch wissen, warum sie sich denn überhaupt zudeckten, wenn die dicke Decke ihnen gar nicht die nötige Wärme würde geben können.

Der junge Mönch überlegte und rief dann übermütig aus: „Die Patchwork-Decke produziert selbst keine Wärme – aber sie kann unsere Körperwärme speichern und uns damit umhüllen.“ Der alte Mönch lächelte.

Dann wollte er von dem jungen Mönch wissen, ob Mönche, die Glocken läuten und die Sutren rezitieren, so wie Leute sein könnten, die unter dicken Patchwork-Decken lägen. Er erklärte: „Solange wir freundlich, barmherzig und nachsichtig sind, können wir die Decken wärmen und alle Lebewesen werden sich an der Wärme festhalten. Ist es so gesehen dann nicht vorstellbar, dass unser Tempel dereinst groß sein wird und die Glocken ununterbrochen läuten werden?“

Plötzlich verstand der junge Mönch, was der Ältere ihm sagen wollte. Am nächsten Morgen stand er auf und ging von da an jeweils früh den Berg hinunter in die Stadt, um für Almosen zu betteln. Noch immer sagten viele Menschen unschöne Dinge zu ihm, doch er blieb stets freundlich zu ihnen und übte sich in Gelassenheit.

Zehn Jahre später war der junge Mönch erwachsen und Abt des Tempels geworden. Aus dem schäbigen kleinen Tempel in den Bergen war ein großer und ansehnlicher Tempel geworden. Es kamen viele Besucher und Pilger zum Tempel, um den Zeremonien und Gebeten der Mönche beizuwohnen. Die Glocke zur Errettung der Lebewesen erklang unablässig, Tag und Nacht läutete sie. Alles war so geschehen, wie es sich der alte Mönch einst gewünscht hatte.

Quellen für diesen Bericht:
https://en.clearharmony.net/articles/a41406-Chinese-Culture-Enlightenment-from-the-Bell.html
„Two Monks‘ Conversation“ aus dem Buch Treasured Tales of China Vol 1, Seite 117, Middle Kingdom Publishing, New York, 2018

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