Eine Geschichte über zweierlei Maß und den Wert der Integrität

Warum scheint es oft so, dass ein Betrüger in Saus und Braus lebt und ein guter Mensch mit dem Geld kaum über den Monat kommt. Die Geschichte des unehrlichen Händlers Defang Zhao erklärt das Phänomen.

Die Bronze-Statue im Bild zeigt einen Händler mit einer alten Waage. Mit ihr wurden die Waren gewogen, um den Preis bestimmen zu können. Der Händler Defang Zhao hatte über Jahrzehnte falsch abgemessen und seine Kunden um viel Geld betrogen. Doch eines Tages beschloss er mit dieser Praxis aufzuhören und ein guter Mensch zu werden.

Desaster rettet den Händler Defang Zhao

An jenem Tag, als der reiche Händler beschloss, seine Kunden nicht länger zu betrügen, versammelte er seine Söhne um sich. Er sagte: „Hört meine Söhne, ich bin jetzt 60 Jahre alt und ich habe mein ganzes Leben hart für unseren Wohlstand gearbeitet. Wenn ich Handel betrieb, arbeitete ich mit einer manipulierten Waage. Dies ermöglichte es mir, Waren günstiger zu erwerben und teurer zu verkaufen und dabei meinen Gewinn zu maximieren.“

Die drei Söhne hörten gebannt zu. Defang Zhao fuhr fort: “ Vor 20 Jahren kaufte ich einst eine große Menge Baumwolle ein. Als der Verkäufer den Betrug bemerkte, ärgerte er sich dermaßen, dass er an Typhus erkrankte und starb. Trotz des Gewinns ließ mich sein Tod all die Jahre nicht los.“

Die Söhne warfen einander vielsagende Blicke zu, wagten aber nicht etwas zu sagen. Defang erzählte weiter: „Da war auch noch die Geschichte mit dem Geschäftsmann, der mir Kräuter verkaufte. Als er bemerkte, um wie viel Geld ich ihn betrogen hatte, wurde er so wütend, dass er nur wenige Wochen später an einem Herzversagen starb.

Nun, da ich ein reicher Mann bin und wirklich alles habe, was ich mir im Leben gewünscht habe, möchte ich mein Verhalten ändern und ab jetzt ehrlich mit meinen Kunden und Mitmenschen umgehen.“

Als er geendet hatte, sagten seine Söhne, dass er mit seinen Tricksereien schon vor Jahren hätte aufhören sollen. Defang nickte. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, schmiss er die manipulierte Waage auf den Boden. Er änderte sein Geschäftsgebaren tatsächlich und wurde zu einem ehrlichen Kaufmann, der seine Versprechen erfüllte und anderen Menschen half, wenn er es konnte.

Das Unglück folgt auf dem Fusse…

Es zogen einige Wochen ins Land, da schien auf einmal das Glück die Familie Zhao zu verlassen. Zuerst verstarb der älteste Sohn und die Witwe kehrte nach der Beerdigung zu ihrer Familie zurück. Kurze Zeit danach verstarb der zweitälteste Sohn und dessen Frau fand alsbald einen neuen Ehemann. Kaum hatte er seinen zweiten Sohn beerdigt, verstarb auch der jüngste Sohn. Dessen Frau war kurz vor der Niederkunft und blieb deshalb bei ihrem Schwiegervater.

Defang konnte die vielen Schicksalsschläge nur schlecht verkraften. Er wurde depressiv und es verwirrte ihn in höchstem Masse, dass jetzt, wo er ein ehrlicher Geschäftsmann war, all das Unglück über ihn hereinbrach, während vorher, als er noch schummelte und betrog, alles gut gelaufen war.

Er grübelte und fragte sich, ob das Gesetz der Karmavergeltung nicht mehr gültig sei. War es nicht so, dass böse Taten mit Bösem und gute Taten mit Gutem vergolten werden? Dass auf seine guten Taten Schicksalsschläge folgten, irritierte ihn. Was war da los?

Geburt und Neubeginn

Am Tag darauf setzten die Wehen bei der Schwiegertochter ein. Doch das Kind kam und kam nicht auf die Welt. Defang holte mehrere Hebammen ins Haus, doch keine der erfahrenen Frauen konnten seiner Schwiegertochter helfen. Die Situation kam ihm merkwürdig vor. Er dachte laut vor sich hin: „Seit dem Tag, an dem ich beschloss, ein guter Mensch zu werden, verfolgt mich und meine Familie das Unglück. Was kann ich nur tun?“

Im selben Moment klopfte ein Wandermönch an die Türe, um nach Almosen zu fragen. Ein Diener öffnete und wollte ihn gleich wieder fortschicken. Der Hausherr habe keine Zeit, sagte er und berichtete von der Schwiegertochter, die das Kind nicht zur Welt bringen konnte. „Sorge dich nicht, antwortete der Mönch. Sage deinem Hausherrn, dass ich magische Kräuter dabei habe, die womöglich dabei helfen können, das Kind auf die Welt zu bringen.“

Als er das hörte, rannte der Diener los und kehrte mit Defang im Schlepptau zurück. Defang bat den Wandermönch, er möge eintreten und der Schwiegertochter die Kräuter geben. Der Mönch händigte die Kräuter der Hebamme aus. In dem Moment, als die Schwiegertochter die Kräuter gegessen hatte, gebar sie auch schon das Kind. Defang und der Mönch warteten in einem Nebenzimmer und unterhielten sich. Als eine der Hebammen eintrat und Defang mitteilte, dass er Großvater geworden war, freute er sich sehr. Zum Mönch gewandt sagte er: „Sie hat der Himmel geschickt!“ und lud den Wandermönch ein, noch zum Abendessen zu bleiben.

Am Abend wurde ein Festmahl aufgetragen. Während des Essens wandte sich Defang an den Mönch und wollte nun endlich verstehen, warum seine Familie vom Pech verfolgt wurde. Er fragte: „Während vieler Jahre benutzte ich eine manipulierte Waage und wurde durch Betrug ein reicher Mann. Vor wenigen Wochen schmiss ich die Waage zu Boden und schwor mich zu ändern. Plötzlich verstarben meine drei Söhne und ich verstehe nicht, warum meine guten Taten mit Unglück vergolten werden.“

Der Wandermönch lachte und antworte: „Desaster passieren manchmal aus gutem Grund! Ich will es dir erklären. Dein ältester Sohn war die Inkarnation des Geschäftsmannes, der dir die Kräuter verkauft hatte. Er starb an seinem Ärger und holte das, was du ihm schuldig geblieben warst als dein Sohn wieder zurück. Dein zweiter Sohn war eigentlich gekommen, um deine Besitztümer zu zerstören. Der jüngste Sohn hätte, wenn du alt geworden wärst, dafür gesorgt, dass du als Obdachloser auf der Straße den Hungertod findest. Aber da du beschlossen hattest dich zu ändern, war das nun nicht mehr nötig. Die Gottheiten haben deine drei Söhne geholt und deine zukünftigen Drangsal getilgt“.

Defang kam sich vor, als sei er von einem Traum erwacht. Er bedankte sich für die Erklärung und wollte gleich wissen, wie es um das neugeborene Großkind bestellt sei. „Dein Enkel wird der Familie Prosperität und Glück bringen. Er wird den guten Ruf der Familie fortführen“, antwortete der Mönch mit einem Lächeln dem besorgt dreinschauenden Defang.

Defang Zhao erlebt den Aha-Effekt

„Weißt du, warum auf dem Wiegestab deiner Waage 16 Markierungen eingeritzt sind?“ wollte der Mönch von Defang wissen. Er konnte die Frage nicht wirklich beantworten und bat um eine Erläuterung.

„Die eingravierten Sterne, die jeweils 50 Gramm (1 Liang) auf der Waage abmessen, beziehen sich auf Sternenkonstellationen im Himmel der daoistischen Astronomie und Astrologie“, sagte der Mönch und erklärte weiter: „Die ersten Sterne beziehen sich auf die Sternenbilder des kleinen und großen Wagens mit je 6 und 7 Sternen. Der Händler, der zwischen Erde und Himmel seine Arbeit tut, soll sich dabei neutral und unparteiisch verhalten. Die letzten drei Sterne hingegen verweisen auf die drei Gottheiten des Glücks, des Wohlstandes und der Langlebigkeit.

Links: Star deities of the northern and central dippers; Credit Line: Gift of Oscar L. Tang Family, 2012, Metropolitan Museum New York
Mitte: The middle ridge of the main hall_Fulhou Three Immortals, Foto des Users (Cloud Horn) 雲角, Wikimedia Commons
Rechts: Sternenbild des kleinen und großen Wagens, Wikipedia Commons

Ein Geschäftsmann muss wissen, dass er nicht ungestraft unehrlich sein kann. Wenn er es nicht ist, so bezahlt er für seinen Betrug einen hohen Preis. Ein Liang (chinesische Gewichtseinheit) zu wenig bedeutet „verringertes Glück“, zwei Liang zu wenig heißt „Wohlstand entfernt“ und drei Liang zu wenig bedeuten „Leben verkürzt“. Je mehr er betrügt, umso mehr Karma (Leid) baut er sich auf.

Als Defang dies hörte und ihm klar wurde, dass mit der Höhe seiner Profite gleichzeitig auch die Menge an zukünftigem Unglück anwuchs, brach ihm der kalte Schweiß aus. Er wagte es von nun an nicht mehr, etwas Unrechtes zu tun.

Quellen für diesen Bericht:
Bild der Bronze-Statue mit Waage: Markus Winkler
Die Geschichte: „Disaster Saves the Landlord“ Ab Seite 31 des Buches „Treasured Tales of China Vol.3, Classical Poets Publishing, Mount Hope, New York, 2020.
Internet Recherche:
Die drei Gottheiten des Glücks, Wohlstandes und Lebensdauer
Taoismus Anbetung der Sternengottheiten, hier, hier, hier
Alternative Erzählweise der Geschichte

Alle Artikel, Grafiken und Inhalte, die auf Yuanming.de veröffentlicht werden, sind urheberrechtlich geschützt. Deren nicht-kommerzielle Verwendung ist erlaubt, wenn auf den Titel sowie den Link zum Originalartikel verwiesen wird.

Das Neueste

Archiv

Weitere Artikel zu diesem Thema