Xiang Yu: Aufstieg und Niedergang eines Hegemons

Von Hegemonie – oder der sogenannten Vormachtstellung – wird in Zeitungen oft in Zusammenhang mit dem US-amerikanischen Militär berichtet. Nach der politischen Theorie des Neo-Realismus sind hegemonische Strukturen ab einem gewissen Punkt in sich instabil, sodass sich langfristig ein Gegenpol zu der bestehenden Hegemonie bilden wird.

Xiang Yu (232 bis 202 v. Chr.) gab sich selbst den Titel des Hegemonial-Königs von West Chu“. Er lebte in der Zeit, als die Qin-Dynastie (221–207 v. Chr.) zerfiel.

Sein Mitstreiter und Konkurrent war der Gründer und erste Kaiser der neu entstehenden Han-Dynastie (202 v. Chr. bis 220 n. Chr.): Liu Bang (256 bis 195 v. Chr.)

Die Qin-Dynastie wird als die erste Dynastie des chinesischen Kaiserreiches bezeichnet, da es dem Staat Qin gelungen war, sieben weiteren Staatsgebiete zu erobern und zu einem Territorium zu vereinen. Während der Zeit der Streitenden Reiche (476 bis 221 v. Chr.) hatten sich die rivalisierenden Gebiete bekämpft in der Hoffnung, selbst eine Vormachtsstellung zu erlangen.

Die erste Dynastie Chinas baute auf der Staatsphilosophie des Legalismus auf und etablierte die heute bekannten Grundzüge des Staatswesens. Mit der Schaffung einer kaiserlichen Bürokratie konnten systematische Erhebungen vorgenommen werden zwecks Besteuerungen, dem Bau einer Infrastruktur, Propaganda (Legitimierung des Kaisertums), Unterhalt der Landesverteidigung und der Definition einer einheitlichen Schreibweise, einheitlichen Maßen und Währungen für Handel und Bankenwesen.

Xiang Yu’s Familie stammte aus Xiaxiang, einer Stadt im Staate Chu. Der Großvater Xiang Yan diente als General der Chu-Armee im Widerstand gegen die eindringenden Qin-Truppen. Er wurde 223 im Kampf getötet. Nach dem Fall von Chu wurden die restlichen Familienmitglieder normale Bürger des neuen kaiserlichen Reiches.

Als der Vater von Xiang Yu starb, kümmerte sich sein Onkel Xiang Liang um ihn. Xiang Yu lehnte als junger Mensch das schulische Lernen ab, war aber an der Kriegskunst interessiert und trainierte diese von Kindesbeinen an. Dabei ging es ihm weniger darum, einen Zweikampf zu gewinnen, sondern eine ganze Armee strategisch führen zu können. Xiang Liang war während der Qin-Zeit für die Überwachung der Fronarbeiter zuständig. Im Geheimen unterzog er die Arbeiter einer militärischen Ausbildung. Später fiel er in einer Schlacht gegen die Qin-Armee, da er unvorsichtig geworden war.

Der erste Kaiser der Qin-Dynastie, Qin Shihuangdi, hatte die nötigen Qualitäten und Fähigkeiten, das Territorium, das heute China genannt wird, vereint zu halten. Doch schon kurz nach seinem Tod (Regierungszeit von 246 bis 210 v. Chr.) zerfiel das Reich bereits wieder in seine Einzelteile. Im ganzen Land brachen Unruhen aus, die sich in der Folge zu einem Bürgerkrieg ausweiteten. Die Rebellenführer der ehemaligen Territorien, unter der Leitung von Xiang Yu, kämpften gegen die Qin-Armee und holten sich ihre Hauptstädte und Ländereien zurück.

Es ist überliefert, dass Xiang Yu formell die Qin-Dynastie besiegte. Xiang Yu verfügte ursprünglich über eine Streitarmee von ca. 80’000 Mann. Mit jedem Sieg wuchs sie weiter an. Wie kein anderer war er fähig, mit einer zahlenmäßig unterlegenen Mannschaft, grössere Verbände der Qin-Armee zu besiegen. Er kämpfte mit absoluter Entschlossenheit, im Stile des Alles oder nichts“. Auf dem Schlachtfeld schien ihn nichts aufhalten zu können.

Er ließ den dritten Kaiser Ziying und seine Familie hinrichten, den kaiserlichen Palast plündern und niederbrennen. Xiang Yu teilte das Reich in 18 Regionalstaaten auf, die er unter den Rebellenführern verteilte. Den Titel Hegemonial König von West Chu“ verlieh er sich selbst.

Der Anfang vom Ende: Die Chu-Han Kämpfe

Xiang Yu konnte sich nach dem glorreichen Sieg politisch nicht als neuen Anführer etablieren und so dauerte es nicht lange, bis die Territorialkämpfe erneut ausbrachen. Diesmal galt die Rebellion ihm.

Liu Bang erkannte die Zeichen der Zeit rasch und eroberte wirtschaftlich relevante Regionen nahe der alten Hauptstadt. Aus den ehemaligen Freunden wurden Konkurrenten. Und obwohl Xiang Yu sich der wachsenden Gefahr, die von Liu Bang ausging, bewusst war, gelang es ihm nicht, ihn rechtzeitig auszuschalten. So nahmen die Dinge ihren Lauf. Was also brachte Xiang Yu zu Fall?

Wenn die Etablierung einer neuen Dynastie nur von der militärischen Stärke abhängig gewesen wäre, so hätten die Truppen Xiang Yu’s sicherlich gewonnen. Den Respekt, den er als General genoss, konnte er jedoch nicht auf seine neue Rolle transferieren. Er vermochte sie nicht auszufüllen. Seine Art zu herrschen machte ihn mehr und mehr unbeliebt. Je größer der Erfolg Liu Bang’s wurde, je mehr Territorien er eroberte, umso größer war die Sogwirkung, sich ihm und seinen Streitkräften anzuschließen. So verlor Xiang Yu nach und nach den Rückhalt in der Bevölkerung und bei den Führern der Regionalstaaten.

Was trieb die ehemaligen Verbündeten auf die Seite von Liu Bang? Da war zum einen die Politik von Xiang Yu, Beförderungen und Titel nur an Familienmitglieder und Freunde zu vergeben, die er kannte. Dadurch kamen fähigere Aspiranten nicht zu ihm, sondern stellten ihr Talent in den Dienst der Konkurrenz.

Er schien nicht in der Lage zu sein, verlässliche Beziehungen zu den Personen aufzubauen, die ihm am nächsten standen. Seinen Verbündeten und Unterstellten brachte er keinen Respekt entgegen und versäumte es, auf ihre Einwände zu hören. Wer ihm widersprach, wurde bestraft. Zuletzt verließ ihn sogar sein treuster Berater Fan Zeng, der es leid war, nicht gehört zu werden. Aus Frust, seiner eigentlichen Aufgabe nicht nachkommen zu können, kehrte er in seine Heimatstadt zurück.

Des Weiteren ist überliefert, dass er die Bevölkerung und die eroberten Soldaten anderer Truppen schlecht bis äußerst brutal behandelte. So mussten 200.000 Soldaten der Qin-Armee ihre eigenen Gräber schaufeln, nur um danach darin bei lebendigem Leibe begraben zu werden.

Während vier Jahren kämpfte Liu Bang gegen Xiang Yu und verlor zu Beginn beinahe jeden Kampf. Einmal führt er 500.000 Mann zur Eroberung der Hauptstadt an. Xiang Yu schaffte es, sie alle mit nur 30.000 Mann zu vertreiben. Die Wende kam erst, als Liu Bang den General Han Xin im Jahre 206 einstellte.

Han Xin wurde zum General über die gesamte Armee ernannt und analysierte die Situation. Er kam zu dem Schluss, dass der Hegemonial-König nur von wenigen Menschen in der Bevölkerung unterstützt wurde. Mit Han Xin gelang es den Soldaten von Liu Bang, immer mehr der Gebiete zu annektieren.

Große Teile im Westen, Norden und in der Landesmitte unterstanden ihm bereits. 202 v. Chr. war die Truppe von Xiang Yu in einem Tal namens Gāixià umstellt. Die Han-Soldaten sangen Volkslieder der Chu, um die bereits müden Soldaten weiter zu schwächen. Als sie die Lieder aus der Heimat hörten, wurden einige nicht nur sentimental, sondern meinten, dass viele der Chu zur Han-Armee übergelaufen waren.

Xiang Yu konnte nicht mehr schlafen und begann zu trinken. Seine Konkubine, Lady Yu wusste, dass das Ende zum Greifen nah war. Sie griff nach einem Schwert und schlitzte sich den Hals auf, damit Xiang Yu sich nicht weiter um sie würde sorgen müssen.

Angesichts des Verlustes seiner Lebensgefährtin wollte er nicht mehr kämpfen. Seine Reitertruppe umfasste noch 800 Mann. Mit ihnen startete er noch einen letzten Angriff, um die Truppen von Liu Bang zurückzudrängen. Danach zog er sich mit nur noch 28 treuen Anhängern zum Wu-Fluss zurück. Dort erwartete ihn ein Boot, das ihn ins sichere Chu-Gebiet hätte bringen können.

Er brachte es aber nicht über sich, nach Hause zurückzukehren, von wo er viele Tausende Mannen in den Kriegskämpfen verloren hatte. Er würde den Eltern nicht in die Augen schauen können. Dem Beamten, der mit dem Boot auf ihn gewartet hatte, schenkte er sein treues Pferd. Da er wusste, dass Liu Bang ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatte, zog er sein Schwert und enthauptete sich.

Der entscheidende Sieg von Liu Bang und der Tod von Xiang Yu bedeuteten das Ende des Chu-Han-Streits und der Beginn der Han-Dynastie. Xiang Yu wird bis heute dafür in Ehren gehalten, dass er nie aufgab und bis zuletzt ein hervorragender und respekteinflößender Krieger war. Es heißt, Liu Bang habe um ihn geweint und ihn postum mit einem hohen Titel geehrt.

Quellen:
Hegemon bedeutet: Herrscher, der eine Vormachtstellung gegenüber anderen Herrschern besitzt.
Die Geschichte „Xiang Yu The Hegemon King“ aus dem Buch People Who Shaped China Seite 131-138, 2018, New Epoch International USA
https://www.britannica.com/biography/Xiang-Yu
http://www.chinaknowledge.de/History/Han/personsxiangyu.html
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Last_Supper_(2012_film)
https://youtu.be/8YyHb3FKglE
Bilder in diesem Bericht sind Schnappschüsse von Filmszenen aus folgendem Video: https://www.youtube.com/watch?v=SyA94_5Z0_Y
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