Epoch Times Deutschland: Falun Gong: Der Mann, der Chinas Zensur durchbrach (Teil 1)

Dissident Yu Chao, wenige Tage nach seiner Ankunft in New York, im Mai 2013

Zehn Jahre verbrachte der Informatiker Yu Chao (42) in Pekinger Gefängnissen, weil er Berichte über die Folter an Falun Gong-Praktizierenden ins Ausland geschleust hatte. Teil 1 schildert seinen Weg des friedlichen Widerstands gegen das chinesische Regime, der vor 15 Jahren, am 25. April 1999, begann. Ein Weg, der ihn durch die Abgründe des Daseins führen sollte.

„Falls ich heute erschossen werde, sollte ich wenigstens frische Kleidung tragen“, dachte Yu Chao am 25. April 1999, als er sich morgens anzog. Dass jemand am Ende des Tages seine Leiche wegräumen musste, war für den jungen Pekinger ein realistisches Szenario: Freunde von ihm waren im Kugelhagel des Tiananmen-Massakers von 1989 gestorben.

Er würde am Protest vor dem Petitionsbüro in Peking teilnehmen, zu dem sich an diesem Tag 10.000 Menschen versammelten. Leute aus unterschiedlichen sozialen Schichten, die eines verband: Sie wollten Falun Gong, eine buddhistische Kultivierungsschule, unbehelligt praktizieren dürfen.

Was er nicht wusste: Das Regime plante bereits, die Demonstration für ihre Hass-Propaganda zu nutzen. Umgebracht sollte niemand werden, zumindest – noch nicht. Diesmal ging es „nur" um Fotos, die dann auch internationales Aufsehen erregten: Die Polizei leitete die Demonstranten absichtlich um, weg vom Petitionsbüro, hin zum nahegelegenen Regierungsviertel Zhongnanhai. Und im nachhinein hieß es dann in Chinas Staatsmedien, „Falun Gong hat das Regierungsviertel umzingelt".

Freiheit inmitten der Diktatur

1992 war diese spezielle Form von Qigong in China veröffentlicht worden und hatte rasant an Popularität gewonnen. Wegen der außergewöhnlich positiven Wirkungen auf Körper und Geist bildeten sich Falun Gong-Übungsplätze im ganzen Land, wo sich hunderte – und in Großstädten manchmal tausende Chinesen – täglich versammelten. In der Morgendämmerung, den Mittagspausen oder nach der Arbeit machten sie die energetisierenden Übungen. Gemeinsam, freiwillig, in friedlichen Massen – und dies alles unter den Argusaugen der Diktatur.

Die Bewegung hatte zu diesem Zeitpunkt 100 Millionen Anhänger in ganz China und damit eine Dimension erreicht, die den Machthabern Angst einflößte. Die 65 Millionen registrierten Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) waren auf einmal in der Minderzahl.

Ein junger Mann riskiert alles

Kurz vor dem 25. April 1999 hatte es erstmals Übergriffe auf Falun Gong-Praktizierende gegeben, mit Wasserwerfern und Festnahmen. Yu wollte etwas dagegen tun. Und das, obwohl er keine Lust hatte, sein Leben zu verlieren. Er war 27, hatte die Tsinghua-Universität absolviert und als IT-Spezialist eines internationalen Unternehmens einen Karriere-Traumstart hingelegt.

Yu war ein Denker. Ein Typ, mit eigenen Ansichten. Keiner, der unbedacht Dinge unternahm oder sich von der Masse mitreißen ließ. Er wusste, wäre er erst einmal als „Staatsfeind“ gebrandmarkt, würde er alle Annehmlichkeiten verlieren – und vielleicht noch mehr. Die Geschichte hatte bereits gezeigt, wie das Regime seine erklärten Feinde behandelte: „Erbarmungslos wie der kalte Winter“.

Doch für Yu war es, als ginge er an diesem Frühlingstag für den Sinn des Lebens auf die Straße.

Er wuchs als "Maos braves Kind" auf

Mit drei Jahren hatte er sich zum ersten Mal melancholisch und leer gefühlt. Damals im Kindergarten, als man ihn und die anderen mit dem Spruch zur Mittagsruhe schickte: „Seid die braven Kinder des Vorsitzenden Mao und schlaft!“ Yu erinnert sich noch genau an den Moment. Er konnte nicht schlafen, beobachtete das Wandern der Sonnenstrahlen und fragte sich: „Maos braves Kind sein … War das alles?"

Die stille Trostlosigkeit begleitete ihn ständig – bis er mit 21 Jahren zufällig auf Falun Gong stieß. Von sich aus hätte er sich nie mit Qigong beschäftigt. Doch Yu litt damals an chronischen Magenschmerzen und gab viel Geld für Medikamente aus, weshalb ihn seine Mutter überredete, es mit den Übungen zu versuchen. Falun Gong war damals ganz neu und eine Art alternativer Trend.

So kam es, dass Yu im Jahr 1993 auch einen Vortrag von Meister Li Hongzhi besuchte, der Falun Gong veröffentlicht hatte. Li wurde damals von verschiedenen Qigong-Vereinen als Referent eingeladen, die seine Kultivierungslehre interessant fanden.

„Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht“

Es handelte sich dabei um uralte Weisheiten über die Eigenschaften des Universums, die zuvor nie der Allgemeinheit zugänglich waren. Für die Chinesen waren Lis Vorträge das fehlende Bindeglied zwischen Tradition und moderner Wissenschaft.

Für Yu ein Schlüsselerlebnis. "Ich fühlte mich, als hätte ich 21 Jahre lang mit verbundenen Augen gelebt." Er fing an, die Prinzipien „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht“ in sein Leben zu integrieren und Fehler nicht mehr bei anderen, sondern bei sich selbst zu suchen. Auf einmal fühlte sich sein Leben sinnerfüllt an, Neid und negative Gedanken traten zurück.

Mit dem Fokus auf den eigenen inneren Frieden sollte Yu eine jahrelange Extremsituation überstehen. Sie begann mit der Verfolgung von Falun Gong im Juli 1999.

Die erste Festnahme

Wieder ging Yu protestieren, diesmal auf dem Platz des Himmlischen Friedens. "Die Übungen machte ich nicht mal regelmäßig, wollte aber unbedingt demonstrieren", sagte er. "Sinnstiftende Dinge sind selten, vor allem in einer Gesellschaft wie China. Der Gefahr war ich mir jedes Mal bewusst".

Das erste Mal wurde Yu am 15. Oktober 1999 verhaftet, als er am Amt für Öffentliche Sicherheit eine Petition gegen die Verfolgung einreichte. "Nach chinesischem Gesetz mein Recht – aber sie verhafteten mich trotzdem."

Zwei Wochen später wurde seine Frau verhaftet, weil sie im Büro für Öffentliche Sicherheit für ihr Recht auf Falun Gong pochte. Danach musste ihr kleiner Sohn von den Großeltern betreut werden.

Die ganze Familie litt

38 Tage war Yu in Gefangenschaft, zuerst im Pekinger Haidan-Gefängnis, danach im Arbeitslager. Bei seiner Freilassung hatte er am ganzen Körper Krätzmilben. Auch Yus Angehörige wurden einer nach dem anderen wegen Falun Gong verhaftet. Seine Schwester, eine Dozentin für Wirtschaft und Management der Tsinghua-Universität, wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Im August 2001 war der Druck so groß, dass Yu und seine Frau in die Obdachlosigkeit untertauchten, um erneuter Verhaftung zu entgehen. Sie verließen nachts die Wohnung und brachten ihren 3-jährigen Sohn zu einer Freundin. Bei ihr lebte der Kleine zehn Monate und begann, sie für seine Mama zu halten.

Ein Todesfall ließ ihn die Angst vergessen

"Von 1999 bis Mitte 2000 war ich vor Angst wie gelähmt", sagt Yu.

Mit seinem Knowhow hätte er verschlüsselte Mails programmieren können, um mit ausländischen Medien Kontakt aufzunehmen. Aber er zögerte. „Weil ich wusste, wozu die Regierung in der Lage war. Weil ich ihre Brutalität selbst erlebt hatte.“

Doch eine Erfahrung ließ ihn die Angst vergessen: Eine Pekingerin, die er gekannt hatte, starb an den Folgen der Folter. Zhao Xin war erst 32 Jahre alt und bereits Wirtschaftsprofessorin der Pekinger Uni gewesen.

Ihre Halswirbel waren durch Prügel gebrochen worden, wodurch sie querschnittsgelähmt war. Im Zuge der anschließenden Operation entfernte man ihr einen Teil der Speiseröhre, wodurch sie die Fähigkeit zu sprechen verlor. Yu ist sich sicher: „Das taten sie, um sie zum Schweigen zu bringen."

Mit einem Plastikrohr im Hals rang sie immer wieder keuchend nach Worten. Sie wollte mit dem Rollstuhl zum Tiananmen-Platz geschoben werden und dort protestieren. Doch sie war körperlich zu schwach. Sechs Monate später erlag sie den Verletzungen.

„Danach wollte ich Zhao Xins Geschichte an die Öffentlichkeit bringen. Die Welt da draußen musste von diesem Verbrechen erfahren", sagt Yu. Er begann mit einem Team von fünf anderen, heimliche Treffen zwischen Folteropfern und westlichen Korrespondenten zu arrangieren. Die Arbeit lief einige Monate gut. Dann wurde das Team der Reihe nach verhaftet.

Zehn Jahre Gefängnis und Folter

Yu wurde zu 10 Jahren Haft verurteilt. Zuerst wurde er in eine sogenannte "Rechtserziehungsanstalt" gesperrt – ein Gehirnwäschezentrum, speziell für Falun Gong-Praktizierende. Elf Monate Folter am Stück.

"Die Wärter kickten mich brutal in die Rippen … ihre Wut war rasend, geradezu delirisch", sagte Yu. "Aber ich war in diesem Moment innerlich gelassen und glücklich mit mir selbst. Ich wusste, was ich getan hatte, war für die Verfolgung ein Schlag gewesen."
„Weiß eure Freundin, was ihr hier tut?“

Die Wärter wechselten sich ab, als sie Yu ins Gesicht schlugen, bis seine Ohren betäubt brummten. Er aber schaute ihnen freundlich in die Augen und fragte sie nach ihren Namen. Keiner antwortete.

"Ihr traut euch, mich zu schlagen, wollt mir aber nicht eure Namen verraten?“, lachte Yu. „Wissen eure Mütter, wie ihr euer Geld verdient? Habt ihr eine Freundin? Weiß sie, was ihr hier tut?"

Wieder antwortete niemand. Aber die Wachen schien sein Blick zu beängstigen und sie begannen, ihm die Finger in die Augen zu bohren. Trotz der starken Schmerzen schaute Yu sie weiter an. Einige schlugen weniger hart zu.

"In diesem Augenblick erkannte ich, wie bedauernswert sie waren. Unfähig, eigene Entscheidungen zu treffen, konnten sie nichts anderes als Befehle befolgen", so Yu. Danach begannen die Wachen, Beleidigungen auf Zettel zu schreiben und mit Spucke in sein Gesicht zu kleben.

Im Gehirnwäschezentrum war Yu von August 2002 bis Juli 2003. "Oft konnte ich Traum und Realität nicht mehr unterscheiden", sagt er. „Zwei Monate lang durfte ich täglich nur eine Stunde schlafen."

100 Tage am „Totenbett“

Er wurde an ein „Totenbett“ gefesselt, das aus einer Holzplanke anstatt einer Matratze bestand. Obwohl sein linker Ellenbogen durch Prügel ausgerenkt war, bogen ihn die Wachen noch hinter seinen Rücken, um ihn mit Handschellen anzuketten. "Es war extrem schmerzhaft. Ich schwitzte kalten Schweiß am ganzen Körper.“ Seine Füße waren mit einem Strick gefesselt. Vier Tage lang war er in dieser Position gefangen und war gezwungen, sich an Ort und Stelle zu erleichtern.

Über 100 Tage verbrachte er auf dem „Totenbett“ und wurde nur gelegentlich abgekettet. Er durfte sich nicht waschen und bekam pro Tag nur 2 Tassen Wasser zu trinken. Einen Schluck davon spuckte er sich in die Hand, um sein Gesicht damit zu waschen. Jeden Morgen wachte er mit tränenden Augen auf. "Weil mein Gesicht so lange nicht gereinigt worden war, sammelte sich verhärteter Eiter um die Augen." Und weil er fünf Monate lang nicht duschen durfte, schuppte sich seine Haut.

Das Jahr von Juli 2003 bis Juli 2004 verbrachte er in verschiedenen Zellen. Einige waren so überfüllt, dass er und 50 andere sich eine Fläche von 40 Quadratmetern teilten. Bis zum 20. Februar 2012 war er im Pekinger Tianjin-Gefängnis. Hier begann der Tag um 4:30 Uhr und selbst im eisigen Winter mit „Jogging“. Danach wurden „Umerziehungs-Materialien studiert".

Nahrungsmittel – produziert unter verheerenden Bedingungen

Und obwohl sie auch dort nicht duschen durften, waren sie gezwungen, mit Nahrungsmitteln zu hantieren. Laut Yu eine Standardarbeit für Gefangene: Einige platzierten Kuchen auf Papptellern, die in Plastik verpackt wurden. Yu musste Bonbons einwickeln – und zwar so stramm, dass es maschinell aussah. Einige seiner Mitgefangenen verloren dadurch die Fingernägel.

Eine andere Foltermethode war die Beschallung mit Lautsprechern, die so extrem aufgedreht waren, dass ihm Ekel und Übelkeit die Brust zuschnürten. Die Beschallung erlitt er eine Woche lang, täglich von 6.00 bis 22.00 Uhr. Auch das Reinigen von Klärgruben gehörte zu seinen Erfahrungen. „Mit dieser Arbeit sollte meine Würde und Selbstachtung zerstört werden", so Yu.

Wie die Flucht in die USA gelang

Nachdem er 2012 entlassen worden war, beantragte er einen Reisepass.

"Unter normalen Bedingungen hätte ich nie einen bekommen“, so Yu. „Mein Glück war, dass sie es bei gebildeten Menschen lockerer handhaben: Man will nicht, dass Tsinghua-Absolventen, die im Gefängnis waren, den Rest der Bevölkerung informieren …"

Im Mai 2013 kam der mittlerweile 41-jährige Yu mit seiner Frau und seinem 15-jährigen Sohn in New York an. Als er sich am Flughafen zwischen Urlaubern und Geschäftsleuten hindurchschlängelte, war er innerlich wie tot. Erst nach fünf Tagen begriff er, dass er frei war.

„Es ist möglich, Menschen zu ändern“

„Die größte Herausforderung ist, was danach kommt", sagt er. Bis zum heutigen Tag kann er nicht auf dem Rücken schlafen, wegen der schweren Rippenverletzungen. Trotzdem will er nicht an Rache denken.

„Ich erinnere mich ständig daran, dass die eigentlichen Folterer diejenigen sind, die die Verfolgung inszeniert haben – nicht unbedingt ihre Handlanger. Die wurden nur zum gedankenlosen Gehorsam gedrillt."

„Ich glaube, der einzige Weg, um Menschen zu verändern, ist ihr Herz zu berühren: Zu zeigen, dass es möglich ist, NICHT zu hassen.“

Hintergründe zu Falun Gong:

Falun Dafa, auch Falun Gong genannt, ist eine traditionelle buddhistische Kultivierungsschule, die ursprünglich aus China stammt und in mehr als 114 Ländern und Regionen der Welt praktiziert wird. Neben den körperlichen Übungen wird besonderer Wert auf ein Leben nach den Prinzipien von Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht gelegt, die seit Tausenden von Jahren in der chinesischen Kultur verwurzelt sind.

Seit dem 20. Juli 1999 unterliegt Falun Dafa in China einer irrationalen Verfolgung, die durch den ehemaligen Staatschef Jiang Zemin initiiert wurde. Schätzungen zufolge wurden seit dem Juli 1999 über 1 Million Falun Gong-Praktizierende festgenommen, über 500.000 Praktizierende, möglicherweise aber wesentlich mehr, zu häufig jahrelangem Arbeitslager gezwungen, in der Regel ohne ordentliches Gerichtsverfahren.

Die Verfolgung in China umfasst alle Lebensbereiche: sie führt zum Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung, schließt Schüler und Studenten von der Ausbildung aus, zwingt Frauen zur Abtreibung und Ehepaare zur Scheidung. Dem Falun Dafa-Informationszentrum liegen bis heute Informationen von über 3745 Todesfällen vor, zu denen es durch Folter in Polizeistationen und Arbeitslagern kam. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Dass systematischer Organraub von staatlichen Behörden angeleitet wird, ist kaum zu glauben und dennoch sind schätzungsweise 65.000 gesunde Falun Gong-Praktizierende Opfer von Organraub am lebendigen Leibe in China geworden.

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