Leserbrief an den „Stern“.Redakteur Herrn Schepp

Sehr geehrter Herr Schepp,

taktisch klug hat der chin. Regierungschef Zhu Rongji vor dem Besuch von Herrn Bundeskanzler Schröder noch ein Interview gegeben. Noch nie hat Zhu einen Staatsbesuch so herzlich empfangen wie Herrn Schröder. Auch er revanchierte sich und lobte Herrn Zhu über den grünen Klee. Doch schon am nächsten Tag kam die erste Überraschung, als Herr Schröder sich auf der Pekinger Titelseite als Kronzeuge für Chinas Repression in der Muslim-Provinz Xinjiang wiederfinden durfte. So schnell geht das in Peking.

Nicht, dass der Kanzler etwas gesagt hätte, was er nicht hätte sagen sollen. Das Gegenteil ist das Problem: Er hat den Mund gehalten, wo er etwas hätte sagen sollen. Er hat auf jedes Wort zu den Menschenrechten verzichtet. Dagegen hat US-Präsident Bush letzte Woche in Schanghai an jeder Ecke darauf hingewiesen, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht als Deckmantel zur Verfolgung nationaler Minderheiten dienen dürfe.

Einerseits fand ich es gut von Ihnen, dass Sie das Thema Falun Gong angesprochen haben, andererseits hat die Antwort von Herrn Zhu ein sehr negatives Bild über die Falun Gong Bewegung ergeben. Der Bericht von Amnesty International vom September 2001 spricht eine ganz andere Sprache. Mehr als 304 Falun Gong Praktizierende wurden in Gefängnissen auf brutale Weise zu Tode gefoltert. Quellen innerhalb der chin. Regierung sprechen jedoch bereits von mehr als 1 000 Toten.

In Washington D.C. fand eine Diskussion über Chinas Staatsterrorismus statt. Neben Mark Palmer, stellvertretender Vorsitzender der Menschrechtsorganisation Freedom House; Harry Wu, Direktor der Laogai Forschungsgesellschaft und James Standish, stellvertretender Generalsekretär der Int. Vereinigung für Religionsfreiheit, wurde über “ Staatsterrorismus“ gesprochen.

Standish betonte, dass er die Bezeichnung „Staatsterrorismus“ für die Verfolgung von Falun Gong unter dem Aspekt der folgenden drei Hauptmerkmale als zutreffend erachtet:

– Die Anwendung von grausamen und ungewöhnlichen Bestrafungen, mit langandauernder Folter bis zum Tod, und extremen psychologischen Druck.
– Zielgerichteter Druck auf Freunde und Familienmitglieder des Opfers durch mit besonderer Befugnis ausgestattete Vollstrecker.
– „Gruppenbestrafung“: die Bestrafung ganzer Bevölkerungsgruppen für die angeblichen „Verbrechen“ des Opfers, nur weil eine beliebige Verbindung zum Opfer besteht.

Ihre Frage : „Warum sind Atem-und Bewegungsübungen der Falun Gong sekte so gefährlich…“ hat Herr Zhu zum einen richtig geantwortet ( Falun Gong ist keine Religion), zum andern hat er die Bewegung als Sekte bezeichnet. Weder in China noch in den restlichen Länder der Welt kann Falun Gong als Sekte bezeichnet werden. Es fehlen vollständig sektenspezifische Merkmale. Das Wort Sekte wurde von der chin Regierung der Bewegung angehängt, um Repressionen zu rechtfertigen. Sie hat sich Ihren eigenen Feind geschaffen – eine altbekannte Taktik. Die Bezeichnung wurde später von den Journalisten übernommen.

Falun Gong ist eine friedliche und gewaltlose Bewegung. Die Praktizierende, in China schlagen nicht zurück wenn sie geschlagen und gefoltert werden und sie schimpfen nicht zurück wenn sie beschimpft werden. Falun Gong hat keine politischen Ambitionen.

Sehr geehrter Herr Schepp, vielleicht sollten Sie einmal hier in Deutschland mit Falun Gong Praktizierenden sprechen. In China riskieren Informanten und Interviewpartner in so einem Fall mehrere Jahre Gefängnis oder Arbeitslager, mitunter den Tod durch Folterung. Ich würde mich freuen, ein persönliches Gespräch mit Ihnen führen zu können.

Mit freundlichem Gruss

Walther Krickl
5.11.01

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