Österreich: Rede von Herrn Kaplan Franz Sieder, Mitbegründer von Amnesty International in Österreich zur Eröffnung der Internationalen Kunstausstellung „Wahrhaftigkeit-Barmherzigkeit-Nachsicht“ im Rathaussaal in Amstetten

Der Österreichische Kunst- und Kulturverein „Ars Cara“ organisiert von Mai bis Juni 2006 unter dem Motto „Kunst für Menschenrechte“ eine Tour durch Österreich. Gezeigt werden Bilder der Internationalen Kunstausstellung „Wahrhaftigkeit-Barmherzigkeit-Nachsicht“. Vom 26.-28. Mai war sie im Rathaussaal in Amstetten als 4. Station der Tour zu sehen.

Diese Kunstausstellung tourt seit 2004 um die ganze Welt. Die Künstler der Bilder haben zum Teil am eigenen Leib erfahren müssen, wie die Kommunistische Partei Chinas (KPC) die Menschenrechte mit Füßen tritt. Einige von ihnen waren rechtswidrig in Zwangsarbeitslagern eingesperrt und wurden schwer gefoltert. Ihre Erlebnisse und wie sie trotz der täglichen Qualen am Leben bleiben konnten, beschreiben ihre Werke. Im Mittelpunkt ihrer geistigen Einstellung stehen dabei die Eigenschaften „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht“. Diese Prinzipien, die Falun Gong, eine traditionelle buddhistische Kultivierungsschule, lehrt, entsprechen nicht der Ideologie der Kommunistischen Partei Chinas und deshalb wird es seit dem 20. Juli 1999 auf grausame Weise verfolgt.

Rede von Herrn Kaplan Franz Sieder, Mitbegründer von Amnesty International in Österreich:

Ich habe an China immer bewundert, daß es in diesem großen Land der Erde mit weit über einer Milliarde von Menschen in den letzten Jahrzehnten keine akute Hungersnot gegeben hat, wie in Indien, in Afrika oder Lateinamerika, wo Millionen von Menschen verhungert sind. Was ich an China auch liebe, ist das chinesische Essen. Ich speise sehr gerne in einem chinesischen Lokal. China wird heute auch von vielen wegen des ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwungs bewundert. Ich möchte aber nie und nimmer in China leben und zwar deshalb, weil China nach wie vor eine Diktatur ist. Es gibt keine einzige Diktatur auf der Welt, wo es nicht Hinrichtungen und Folterungen gibt, weil eine Diktatur ohne Hinrichtung und ohne Folterung überhaupt nicht existieren kann. Ich möchte damit nicht sagen, daß es in Demokratien keine Menschenrechtsverletzungen gibt, aber in Diktaturen sind sie gleichsam zwangsläufig und besonders arg.

Neben den vielen Hinrichtungen und Folterungen in China möchte ich noch auf einige eklatante Menschenrechtsverletzung in diesem Land hinweisen. Eine der Menschenrechtsverletzungen besteht darin, dass die Rechte der Arbeitnehmervertreter auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit massiv beschnitten werden, und unabhängige Gewerkschaften sind verboten. Der momentane wirtschaftliche Aufschwung in China beruht zu einem großen Teil auch auf der Ausbeutung der Menschen in den Betrieben. Die Menschenrechte werden auch den Frauen gegenüber aufs Gröbste verletzt. Im Zuge der staatlichen Familienplanung werden Mädchen und Frauen zu Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisierungen gezwungen. Mao Hengfeng, eine chinesische Frau, wurde laut Amnesty-Bericht zu 18 Monaten Straflager verurteilt – wegen wiederholter Schwangerschaft wurde sie zur Abtreibung gezwungen. Im Straflager wurde sie gefesselt, an der Decke aufgehängt und brutal verprügelt und mit Elektroschocks behandelt. Was die Todesstrafe anbelangt, wurden im vergangenen Jahr nach Amnesty Recherchen in China 6000 Todesurteile gefällt und 3400 Hinrichtungen registriert.

Ich möchte auch informieren, was Amnesty zur spirituellen Bewegung Falun Gong in China sagt:

Diese spirituelle Bewegung ist ein Hauptziel staatlicher Repression, vor allem in Form willkürlicher Massenverhaftungen ihrer Anhänger. Die Mehrzahl der Festgenommenen wurde ohne Anklage und ohne Prozess zur Umerziehung durch Arbeit in Straflager geschickt, wo ihnen Folterungen und Misshandlungen drohten, insbesondere dann, wenn sie sich weigerten, ihrem Glauben abzuschwören. Viele sind an den Folgen von Folterungen und Misshandlungen gestorben. Mich erinnert diese Situation an die Christenverfolgung der ersten christlichen Jahrhunderte durch die römischen Kaiser. Es herrschte auch damals eine brutale Diktatur. Einige der Künstler, von denen die Bilder der Ausstellung stammen, waren in solchen Zwangsarbeitslagern eingesperrt und wurden schwer gefoltert.

Falun Gong ist eine buddhistische Kultivierungsschule und ihre besonderen Prinzipien sind „Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht“. Diese Prinzipien sind natürlich nicht die Prinzipien der chinesischen Kommunistischen Partei. Ihre Prinzipien sind eher brutale Machtausübung und Menschenverachtung. Auch wenn Falun Gong keine christliche Organisation oder Bewegung ist, so verdient sie unsere uneingeschränkte Solidarität als Christen. Falun Gong hat Werte auf ihre Fahnen geheftet, die auch uns als Christen heilig sind. Überhaupt muss uns die Freiheit der Religionsausübung ein hoher Wert sein, für den wir uns permanent einsetzen sollen, ob es bei uns in Österreich ist oder in China oder in irgendeinem anderen Land der Welt. Wenn uns die Künstler von Falun Gong diese Ausstellung anbieten, dann wollen sie uns mit ihrer Kunst die Augen für diese traurige Wirklichkeit unserer Welt öffnen.

Gelebter Christ sein heißt vor allem einen Blick für das Leid der Menschen haben. Unsere Verantwortung als Christen ist eine universelle Verantwortung, und deshalb sollen wir auch nicht vorübergehen am Leid der Menschen in anderen Ländern. Vom Evangelium kennen wir das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Dieses Gleichnis möchte uns sagen, dass wir an den ausgeplünderten und verwundeten Menschen nicht vorübergehen sollen. Wir sollen ihnen helfen und wenn es möglich ist, ihre Wunden verbinden. Christliche Nächstenliebe kann aber nicht nur Wunden verbinden heißen – sie kann auch Räuberbekämpfung heißen. In Bezug auf China heißt das, dass wir auch ein Staatssystem bekämpfen sollen, das ununterbrochen Menschen verwundet und tötet.

Es geht bei dieser Ausstellung darum, dass wir uns berühren lassen vom Leid der Menschen in China. Die Kunst spricht nicht nur unseren Verstand an, sondern auch unser Gemüt, und deswegen werden wir durch die Bilder stärker berührt, als wenn wir von den Grausamkeiten in China im Radio hören oder in der Zeitung lesen. Wir alle sind angesichts des vielen Leids in der Welt in Gefahr abzustumpfen. Wir alle sind in Gefahr in die Zuschauerrolle abzuschlittern. Wir sind besonders dann in Gefahr, wenn wir keinen Weg sehen, wie wir helfen können. Allein auf uns gestellt sind wir sehr schnell geneigt zu resignieren und die Welt ihrem Schicksal zu überlassen. Ich finde es daher ungeheuer wichtig, dass es Organisationen, wie Amnesty International, gibt. Ich arbeite schon 25 Jahre bei Amnesty mit und ich kann versichern, dass Amnesty sehr wirksam gegen diese Ungerechtigkeiten in der Welt ankämpft.

Wir sollen auch mit großer Hochachtung allen religiösen Organisationen begegnen, die sich für Menschenrechte stark machen, bei denen es nicht um Machtausübung, sondern ehrlich um das Wohl der Menschen geht. Gerade die Religion gibt uns Hoffnung und lehrt uns, dass unser Engagement für Gerechtigkeit nicht sinnlos ist – auch wenn wir momentan oft wenig menschliche Fortschritte sehen.

Albert Einstein hat einmal gesagt: „Nur die Theologie lehrt uns, dass der Mörder über das geschundene Opfer nicht triumphieren wird.“

Ich möchte mit einem Gedicht schließen:

„Seid unbequem, seid Sand und nicht Öl im Getriebe der Welt.
Sand in jedem Getriebe, wo der Mensch zur Nummer wird, zum Zahnrad, zum Objekt, damit die Maschinerie weiter Unmenschliches produzieren kann, von dem wir leben und an dem wir sterben;
Sand da, wo ein System mit uns rechnet, da wo es uns einkalkuliert hat, weil wir aufgehört haben zu denken;
Sand da, wo man vom allgemeinen Volksempfinden, von der allgemeinen Meinung, von dem „man denkt so“ spricht.
Sand auch auf die Gefahr hin zermahlen zu werden – so wie Christus.“

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