Famiglia Cristiana (Italien), 11.07.2002: Die „Fliegen“ des chinesischen Regimes

Anm. d. Red.:“Famiglia Cristiana“ ist das am meisten verkaufte Wochenmagazin Italiens.

Strafanzeige einer Frau gegen das Regime, das ihren Ehemann ermordet hat und die Anhänger einer Massenbewegung verfolgt. In dem Land des „Einheitsdenkens“, das von der regierenden kommunistischen Partei gebildet und geregelt worden ist, wird jede davon abweichende geistige Suche zur politischen Bedrohung, die man mit Unterdrückung ersticken muß.

„Ich weine „doppelte Tränen“, um meinen Mann und um mein Volk“, sagt Dai Zhizhen zu mir. Aber im Augenblick kann darüber niemand weinen. Sie ist mit ihrer zweijährigen Tochter Fa-Du gekommen, um mich zu besuchen. Man weiß, wie Kinder erschrecken, wenn sie sehen, daß sich das Gesicht dessen, der sie auf dem Arm hat, verfinstert. Sie hat eine schmerzliche Geschichte, die sie ohne Furcht erzählen kann, weil sie einen australischen Pass besitzt. Sie wird nicht nach China zurückkehren können, weil sie auf der „schwarzen Liste“ der sogenannten Feinde des kommunistischen Regimes steht. Ihr Mann ist im vergangenen Jahr gefoltert und dann tot auf die Straße geworfen worden, da war er 34 Jahre alt. Er war Elektriker und ein friedlicher Mensch – auch er wurde in einen „Feind“ umbenannt.

Mit 20 Jahren wanderte Dai nach Australien aus, wo sie ihr Studium in Wirtschaftskunde beendete und heute arbeitet sie als Hotelangestellte in Sydney. Sie hat das Geld für diese Reise nach Italien mit einem bestimmten Ziel gespart: “Ich suche Unterstützung in einem freien Land gegen die Unterdrückung, die mein Heimatland zerstört. Ich habe ja nur eine kleine Stimme um zu protestieren.“

Sie hat Chengyong kennengelernt, als sie einmal nach China zurückkam, um ihre Mutter, ihren Bruder und ihre Schwester in Ghuang Zhou, dem alten Kanton, wiederzusehen. Sie haben 1997 geheiratet: “Zusammen haben wir einen Lebenssinn gefunden.“ Als das Baby geboren wurde, haben sie es Fa-Du genannt, das bedeutet „gutes Schicksal.“ „Es war eine Bestätigung unseres Glücklichseins. Stattdessen ist das Unglück über uns gekommen.“

Das Unglück heißt Verfolgung. Die hat sie getroffen, als sie einer Bewegung beitraten, die viele Millionen Anhänger hat und deshalb die chinesische Regierung, die das „Einheitsdenken“ der kommunistischen Partei eingeführt hat, besorgt macht. „Jede selbständige Öffnung wird erstickt, weil, wie man bei uns sagt, wenn man das Fenster öffnet, kommen die Fliegen herein“.

Seit 1989, dem Jahr, in dem Panzer die Proteste der Studenten auf dem Tiananmen-Platz niederschlugen, hat man keine so grausame Unterdrückung mehr gesehen.

Dai Zhizhen mit ihrer Tochter. Vom kommunistischen Regime als Feindin betrachtet. Sie kann nicht mehr nach China zurückkehren. (Foto Giuliani)

Die Bewegung heißt Falun Gong oder auch Falun Dafa. Sie hat ihre Wurzeln im antiken chinesischen Buddhismus. Das Wort Falun bezeichnete das Rad des Gesetzes und heute einen Kreis geistiger Energien. Sie gründet sich auf fünf täglich zu betreibende Übungen für das körperliche Wohlergehen, während dem Wohlergehen des Geistes die drei Prinzipien Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht zugrunde liegen. Soweit ich unterrichtet bin, handelt es sich um eine harmlose Bewegung. Aber der Präsident Jiang Zemin hat sie mit einem eigens erlassenen Gesetz gegen die „sieben Niederträchtigkeiten“ bekämpft. Das geschah 1999, nachdem sie am 25.April zu 10.000 vor dem Regierungssitz aufgezogen waren, um die Freilassung von 43 Anhängern, die festgenommen worden waren, zu fordern. Seitdem wurden laut Amnesty International 430 Todesfälle bestätigt, dazu Folterungen, Inhaftierung in Arbeitslagern und Vergeltungsmaßnahmen gegen die Familien.

Der Körper von Chengyong wurde am 26. Juli 2001 auf der Straße gefunden. Dai hat das durch eine Internetseite erfahren. „ Mein Herz wurde in zwei Stücke gerissen. Ich finde Kraft in einer unserer alten Redewendungen: Das was am härtesten zu ertragen ist, erträgt man; was am schwersten zu überwinden ist, das überwindet man.“ So hat es mir Dai erzählt, mit unbewegtem Gesicht. Nur, als Fa-Du auf ihrer Schulter einschläft, kann sie endlich ihre „doppelten Tränen“ weinen, ohne das Kind zu erschrecken.

Franca Zembonini

Übersetzt am: 13.07.2002
Original vom: 11.07.2002

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