Financial Times: Pyramide der Macht hinter Spiel mit den Zahlen

ASIA-PACIFIC: : Fälle offizieller Fälschung bilden den Höhepunkt der Unzulänglichkeiten eines unreformierten kommunistischen Systems, schreibt James Kynge

28. Feb. 2002

Chinesische Mandarins haben eine lange Geschichte von Tricks, um ihre Vorgesetzten zu beeindrucken. Während der Hungersnot in den späten 50er Jahren, waren Beamte so versessen darauf den Vorsitzenden Mao Zedong zufrieden zustellen, dass sie Bilder in Umlauf brachten, auf denen Weizenähren zu sehen waren, die so dick waren, dass Kinder darauf laufen konnten.

Vieles hat sich seit dem geändert, aber Überreste der alten Gewohnheiten überleben, laut einer internen Umfrage durch das Staatliche Amt für Statistik (NBS). Das Niveau statistischer Fälschung, das durch die Untersuchung offengelegt wurde, bestätigt, dass jetzt, genau wie in der Vergangenheit, "Statistik Autorität macht, und Autorität die Statistik macht".

Die Entdeckung des NBS von etwa 60,000 Fällen statistischer Falschdarstellung hat mehrere Bedeutungen. Es wirft ein gewisses Maß an Zweifel auf alle Analysen über die chinesische Wirtschaft, die offizielle Zahlen beinhalten. Es verleiht den Argumenten der Skeptiker Chinas Gewicht und es bildet den Höhepunkt der Unzulänglichkeiten eines unreformierten kommunistischen Systems.

"Wir wissen, dass es Probleme gibt . . . mit einigen Leitenden der Verwaltungsbezirke, die lokale Wachstumszahlen fabrizieren, um somit ihre eigenen politischen Karrieren zu beschleunigen," sagte Xiong Zhennan, Direktor von NBS Regulierung und Politik. "Aber es gibt einige Probleme, die können nicht allein von unserem Amt aus gelöst werden, insbesondere wenn sie mit der Politik in Beziehung stehen."

Kurz gesagt, liegt das Hauptproblem darin, dass Beamte auf jeder Ebene einer pyramidenförmigen kommunistischen Architektur verantwortlich dafür sind, dass die Statistiken zur nächsthöheren Ebene weitergegeben werden. Schlüsselzahlen über regionale Bruttosozialprodukte, Steuereinnahmen und Schaffung neuer Arbeitsstellen bilden dann das Hauptkriterium für die Beurteilung der "politischen Leistungen" jedes Beamten – und bieten somit einen Ansporn für Falschdarstellungen.

Darüber hinaus kann in China keine Organisation unabhängig von der Kommunistischen Partei bestehen, d. h. dass lokale Parteiführer die direkten Vorgesetzten örtlicher NBS Funktionäre sind – was es sehr schwierig macht für Statistiker an exakten Zahlen festzuhalten.

Weil es an systematischen Reformen fehlt, wurde das Ausmaß der Unregelmäßigkeiten in chinesischen Statistiken zum Fokus einer erhitzten Debatte. Die Meinungen zwischen Maklerhäusern, multilateralen Organisationen und Fachleuten aus der Wissenschaft gehen bereits weit auseinander.

Das Ende des Spektrums der Skeptiker bildet Thomas Rawski, Wirtschaftsprofessor an der Universität Pittsburgh, der anhand krasser Unstimmigkeiten in offiziellen Zahlen den Gedanken nahe legt, dass das tatsächliche Wachstum seit 1998 weit unter dem von der Regierung behaupteten liegt.

"Die Zahlen im (statistischen) Jahrbuch sprechen von einem tatsächlichen Wachstum des Bruttosozialprodukts von 24.7 Prozent zwischen 1997 und 2000. Während der gleichen drei Jahre ging der Energieverbrauch um 12.8 Prozent zurück," sagte Herr Rawski. Er entdeckte auch, dass trotz riesigem offiziellen Wachstum in diesen Jahren, sowohl die zur Verfügung stehenden Beschäftigungsmöglichkeiten sowie auch die Preise entweder nur mäßig oder gar nicht angestiegen sind.

Basierend auf Zahlen, die seiner Meinung nach nur schwer zu fälschen sind, erstellt Herr Rawski seine eigenen "Schätzungen" über die Höhe des tatsächlichen Wachstums. 1998, als das offizielle Wachstum des Bruttosozialprodukts 7.8 Prozent betrug, lagen seine Schätzungen hingegen zwischen minus 2 und plus 2 Prozent. 1999, mit einer offiziellen Zahl von 7.1 Prozent, geht Herr Rawski von minus 2.5 bis plus 2 Prozent aus (siehe Tabelle).

"Der Druck, die offiziellen Wachstumszahlen zu bestätigen überwältigt Statistikämter auf lokaler und Provinzebene, chinesische Wirtschaftsexperten und sogar internationale Bankiers und Marktforscher, deren Firmen Geschäftsverbindungen mit Chinesischen Regierungsstellen pflegen," sagte Herr Rawski.

Tatsächlich zitieren Maklerhäuser – von denen viele ganz ansehnlich von riesigen Versicherungsverträgen, die jedes Jahr von China ausgehen, profitieren – für gewöhnlich die offiziellen Zahlen ohne Einspruch. Solche, die sich dem nicht anschließen, wie z.B. CLSA, ein Hong Konger Makler, bilden die Ausnahme.

"Die Zahlen, die China als die weltweit am schnellsten wachsende Wirtschaft erscheinen lassen, sind nicht einmal das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind," so heißt es in einem Bericht der CLSA vom Januar. "Wir haben nicht vor eine Vorhersage für das Wachstum von Chinas Bruttosozialprodukt für 2002 und 2003 zu machen. Uns fehlen die grundlegenden statistischen Informationen, und wir können daher nicht einmal ein einfaches Modell erstellen."

CLSA legt nahe, wahrheitsgetreuere Interpretationen aus der Wirtschaftspolitik, anekdotischen Beweisen und – gemeinsam mit Herrn Rawski – einer Bewertung stellvertretender Indikatoren für das Wachstum des Bruttosozialprodukts zu entnehmen.

Weitere leichtgläubige Beobachter gibt es bei der World Bank und Asian Development Bank, die beide an die Chinesische Regierung verleihen und mehrere wichtige Aufbauprojekte im Land unterstützen. Langjährige leitende Angestellte beider Institutionen äußerten, dass obwohl die in den Schlagzeilen stehenden Zahlen für das Bruttosozialprodukt vermutlich zu hoch sind, jedoch andere Zahlen in China zu niedrig geschätzt sein könnten.

Insbesondere sprechen einige davon, dass private Unternehmer oftmals die Einnahmen und Produktionserträge zu gering angeben um Steuern zu vermeiden. Auch der Dienstleistungssektor könnte viel größer sein, als die offiziellen Zahlen nahe legen, sagten Geschäftsführer von World Bank und ADB.

Dennoch bestätigen fast alle Beobachter statistische Mängel und chinesische Wissenschaftler brechen ein Tabu und stellen zunehmend die offizielle Version der Realität in Frage.

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