Taz (D): Wohin, wohin?

Ferien in China könnten eventuell in Frage kommen
Mit der Urlaubsplanung ist es derzeit so eine Sache. Das Terrain ist vermint, die nähere Umgebung kaum zumutbar, das Thema bleibt heikel. Welches Land sollte man schon noch aus voller Überzeugung bereisen? Im Norden tummeln sich Rassisten, den Trip nach England kann sich kein Mensch leisten, in Frankreich fallen die Festivals aus, und bei Italien weiß ja auch niemand so recht, wie die Aktien stehen.
Gut, dass es China gibt. Ein Land, in dem man sich auf jeden Besucher freut. Hier spielt die Hautfarbe keine Rolle, die Herkunft nicht und nicht einmal die Vorliebe für deftige Speisen. Schaufeln ja selber alles wie blöd in sich hinein, diese Chinesen.
Tatsächlich ist der Amerikaner hier ebenso willkommen wie der blonde deutsche Hansdampf in Maos Gassen. Es fehlt nämlich überhaupt an Touristen, seit die Sars-Epidemie ausgebrochen ist: 50 Prozent sollen die Flugbuchungen zurückgegangen sein, 94 Prozent lag im Mai der Besucherschnitt unter dem des Vorjahresmonats. Selbst nachdem die Weltgesundheitsorganisation Ende Juni für Chinareisen Entwarnung gegeben hat, bleibt der Run auf Peking aus. Obwohl die äußeren Parameter stimmen: 33 Grad, meistens unbewölkt, steht in der Wettervorhersage für die nächsten fünf Tage. Trotzdem fährt niemand hin. Ein Kieler Reiseunternehmen bietet sogar eine Stadtreise nach Hongkong für irrwitzige 299 Euro inklusive Flug und Hotel an. Gewinn macht man mit diesem Akt der Verzweiflung sicherlich nicht, weder in Schleswig-Holstein noch in China.
Deshalb hat sich die allwissende Kommunistische Partei etwas Besonderes ausgedacht. Sie lockt mit Essen. Für die ersten 1.500 ausländischen Gäste, die im Juli in die Hauptstadt gekommen sind, wurde ein Festmahl in der Halle des Volkes arrangiert. Wo sonst an die 2.000 Abgeordnete der Partei nach erfolgreicher Planerfüllung feiern, kann man jetzt mit etwas Glück selber Crevetten schlemmen. Oder geschmorte Ente mit acht Kostbarkeiten. Der Große Vorsitzende hat hier schon seine Wan-Tan-Suppe geschlürft, und wenn ich mich beeile, kriege ich vielleicht einen Platz an dem Tisch ab, an dem bereits Jiang Zemin in jungen Jahren auf leckere Frühlingsrollen gestarrt hat.
Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: Wer isst, ist ein König. Andererseits habe ich in der Mao-Bibel gelesen, dass eine Revolution kein Gastmahl ist. Dann gilt aber wohl auch der umgekehrte Schluss: Ein Gastmahl ist keine Revolution. Und das Festessen, mit dem Peking Touristen anlockt, ist, so grübelt es in mir, nichts weiter als eine Werbekampagne des zuständigen Ministers, der im Grunde gar nicht mein Wohlbefinden fördern will, sondern den Umsatz. Nur klingt es eben besser, wenn man zum großen Fressen in der Halle des Volkes einlädt, als wenn man einfach bloß Wertgutscheine an unschlüssige Urlauber verteilen würde.
Als ich dann im Internet die New York Times las, ist mir die Lust auf China vollends vergangen. In Liaojiang sind zwei Arbeiter wegen Aufruhr zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden, bloß weil sie sich für Lohnfortzahlung in einer bankrotten staatlichen Fabrik eingesetzt haben. Das ist also der Kapitalismus made in China – auf solche Ideen wären nicht einmal die Industriebarone in Manchester gekommen, vormodern ist so was. Da kann ich auch gleich zu Hause bleiben und mir im Fernsehen anschauen, wie sich die IG Metall demontiert.


16.07.03

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