Die Welt (Deutschland): Überläufer aus China bringt Australien in Schwierigkeiten

Berlin – Eigentlich wollen die Regierungen von China und Australien ihre Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen voranbringen, aber nun kommt ihnen eine dumme Affäre in die Quere. Eine Spionageaffäre, die beide Seiten am liebsten möglichst schnell unter den Tisch fallen lassen würden. Doch dafür ist es nun schon zu spät. Mit jedem Tag weitet sich die Geschichte weiter aus.

Vor knapp zwei Wochen bat der politische Berater des chinesischen Konsulats in Sydney, Chen Yonglin (37), mit seiner Frau Jin Ping und der sechsjährigen Tochter um politisches Asyl. Chen sagt, er sei 1989 Aktivist bei der Demokratiebewegung gewesen und trat zwischenzeitlich auf einer Demonstration auf, die an den 16. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking erinnerte. Nach dem 4. Juni 1989 habe man ihn verhaftet und "umerzogen", bevor er in den diplomatischen Dienst eintrat. Seine Aufgabe dann in Australien: die Exilopposition, die Meditationsbewegung Falun Gong und Befürworter der Unabhängigkeit, wie Tibeter und Taiwaner, beobachten. Die "Umerziehung" hat offenbar nicht richtig funktioniert, denn Chen sagt: "Während der vier Jahre in Australien hat mir mein schlechtes Gewissen Alpträume bereitet."

Nun möchte der Abtrünnige nicht mehr nach China zurück, wo er eine harte Bestrafung fürchtet. Er will in Australien bleiben oder in die USA übersiedeln und bietet umfassende Informationen über Chinas Spionagetätigkeit an. 1000 Spione bespitzelten in Australien Auslandschinesen, sagt Chen. Sein Problem: Niemand will es hören. Australiens Geheimdienst besuchte ihn erst gar nicht in seinem Versteck und hatte fast eine Woche lang nicht einmal seinen engen Verbündeten, die USA, über den Überläufer informiert. Statt dessen riefen sie die chinesische Botschaft an. Peking dementierte Chens Aussagen umgehend und verspricht, ihn nicht zu bestrafen, wenn Canberra ihn nach China zurückschickt. Australien lehnte Chens Asylgesuch daher ab, doch Chen läßt nicht locker. Nun schrieb er einen neuen Brief, persönlich gerichtet an Premier John Howard und Außenminister Alexander Downer. Menschenrechtler nehmen sich des Falls an. Zu allem Überdruß hat nun auch noch ein ehemaliger Sicherheitsoffizier, Hao Fengjun, Chens Aussagen über den Spionagering bestätigt. "Sie schicken Geschäftsleute und Studenten als Spione ins Ausland", sagte er. "Sie infiltrieren Falun Gong und andere Dissidentengruppen." Hao (32) reiste als Tourist nach Australien ein. Auch er hat um politisches Asyl gebeten.

Artikel erschienen am Do, 9. Juni 2005

http://www.welt.de/data/2005/06/09/729532.html

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