Prisma: Das Magazin der Studierenden der Universität St. Gallen / Schweiz

April 2002 Nr. 277

Prisma traf sich mit Daniel Ulrich, einem Falun Gong-Praktizierenden, um mit ihm über seine Erlebnisse in Beijing, China zu sprechen. Dabei erfahren wir, wie die Einhaltung der Menschenrechte gehandhabt wird und dass die politische Öffnung des Landes noch einiger Zeit bedarf.

Es ist eine böse Zeit. In Kolumbien wüten Paramilitärs und die linksgerichtete FARC gleichermaßen sinnlos und hasserfüllt, Argentinien verirrte sich in einem Zustand von Anarchie und Chaos, Ariel Scharon schwingt die Kriegsrassel und die Amerikaner bestätigen einmal mehr ihren Anspruch auf die Hegemonialstellung in der Welt. Die Weltöffentlichkeit wird tagtäglich mit neuen Schreckensmeldungen beworfen, sei es mit Umweltkatastrophen, Menschenrechtsverletzungen oder herumirrenden Flüchtlingen, wie beispielsweise in Australien. Selbst in China, diesem aufstrebenden und von der Klüngelwirtschaft befreiten Land, ist nicht immer gut Kirschen essen mit den Obrigkeiten und der Intelligenzija. Denken wir spontan an die Verfolgung Falun Gong-Praktizierender, an die Tibet-Frage, an die zahlreichen Sklaven in der chinesischen Wirtschaft und an die Aids-Epidemie in Hennan. Gemäss unserem westlichen Gerechtigkeitsempfinden und Demokratieverständnis muss sich das Land der freundlichen Bewohner noch mehr in einen internationalen Konsens ergiessen, wo wirklich kein Mensch einer den Lebensumständen würdigen Lebensart entbehren muss. Wir möchten nun unser Augenmerk auf die Verfolgung von Falun Gong-Praktizierenden legen.

Es ist eine böse Zeit

Falun Gong ist eine Methode, die mit Hilfe von einfachen Übungen das Wohlbefinden von Körper und Geist fördert. Meister Li Hongzhi, der Vater des Falun Gongs, hat sie auf der Basis buddhistischer und taoistischer Traditionen entwickelt und unentgeltlich weitergegeben. Sie empfiehlt Selbstkultivierung und bessere Beachtung der universellen Qualitäten Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht. Dank seiner wohltuenden Auswirkungen haben Millionen von Chinesen und Menschen in den westlichen Ländern den Weg dieser Lebensweise und der Gutherzigkeit eingeschlagen. Falun Gong ist demnach keine Religion, sondern ein asiatisches Körper- und Bewegungstraining, welchem seine Anhänger therapeutische Wirkungen zusprechen und welches mit weiteren chinesischen Meditationstechniken verwandt ist.

Am 23. April 1999 beginnt die Verfolgung in der Stadt Tianjin, wo Polizisten Dutzende von Praktizierenden, die gegen einen verleumdenden Zeitungsartikel auf die Straße gingen, aufgriffen und einsperrten. Es liegt auf der Hand, dass die enorme Popularität von Falun Gong – Anfang 1999 hieß es in einem offiziellen Bericht, dass über 70 Millionen chinesischer Bürger der Bewegung angehören – die chinesische Regierung in Angst und Schrecken versetzte. Der ganze Staatsapparat war von Falun Gong-Praktizierenden durchsetzt und deren Mitgliederzahl überstieg sogar die Mitgliederzahl der regierenden Kommunistischen Partei. Am 22. Juli 1999 wurde Falun Gong offiziell für gesetzeswidrig erklärt, wobei das Verbot verständlicherweise das ganze Land auf den Kopf stellte. Diese Nacht wurde durch Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Plünderungen zerrissen. Es wurden Millionen von Büchern und Tonträgern geschreddert und verbrannt. Falun Gong-Praktizierende wurden zu Hunderten geschlagen, misshandelt und verhaftet. Der Propaganda-Apparat in Beijing verbreitete auf der ganzen Welt „Wahrheiten“ und “ Tatsachen“, um die friedfertige Bewegung in ein sehr schiefes Licht zu rücken.

Das eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und die Weltgemeinschaft zeigen sich daher sehr besorgt über die Repressionskampagne in China, wo Männer, Frauen und Kleinkinder zu Tode gequält und gefoltert werden. Die Schweiz hat China zudem konkret ermahnt, die Religions- und Meinungsfreiheit und die individuellen Rechte der chinesischen Bürger zu respektieren, bisher jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Die offizielle Sektenberatungsstelle des Bundes attestiert der Bewegung jedoch sektenähnliche Tendenzen, die auch „tatsächlich“ vorhanden seien. Der Bewegung wird allgemein vorgeworfen, dass sie für sich den alleinigen Weg zur vollkommenen Seligkeit in Anspruch nimmt und dass sich die Anhänger aus Glaubensgründen nicht medizinisch behandeln lassen. Doch zu einem wahren und objektiven Bild von der Bewegung zu gelangen, ist den Umständen entsprechend schwierig und wird durch den chinesischen Propagandaapparat sehr erschwert.

Über 70 Millionen haben in China in der Falun Gong-Bewegung geistige Erfüllung gefunden

Prisma hat Daniel Ulrich getroffen, um mit ihm über seine Eindrücke in Beijing als Falun Gong-Praktizierenden zu sprechen. Daniel Ulrich reiste vor ungefähr vier Jahren nach China, um dort neben dem berühmt-berüchtigten Shaolin-Kloster Kung Fu zu lernen, da er schon als Kind von der asiatischen Kampfkunst fasziniert war. Es war aber zu seiner Enttäuschung so, dass der spirituelle und geistige Gehalt der asiatischen Lebensphilosophie viel zu sehr in den Hintergrund gerückt wurde. Zurück in der Schweiz wird Daniel Ulrich durch seinen Kung Fu- Lehrer mit Falun Gong konfrontiert, wo er den geistigen Gehalt findet, den er in China vergebens gesucht hatte. Zu seinem Erstaunen haben die Übungen des Falun Gongs bei ihm tatsächlich funktioniert, worauf er sich seither nur auf Falun Gong konzentriert, was das auch immer heißen mag. Nun widmet der künftige Web-Designer seine Freizeit der Öffentlichkeitsarbeit, um die Missstände in China und die Vorurteile der breiten Bevölkerung zu bekämpfen. Er organisiert mit seinen Freunden Hungerstreiks, Infostände in großen schweizerischen Städten und den SOS- Marsch, wo Praktizierende aus der ganzen Schweiz von großen Städten aus starten, um in Bern auf dem Bundeshausplatz für die Anliegen der Falun Gong-Bewegung zu kämpfen.

Frauen werden unzimperlich an den Haaren in die Busse gezerrt, Männer werden wie Frachtgut in die Busse gehievt.

Eines Tages erhielt Daniel Ulrich ein Telefonanruf aus Deutschland. Sein Freund fragte ihn, ob er Lust hätte, mit ihm und einigen Kollegen nach China zu reisen, um auf dem Tiananmen-Platz zu demonstrieren. Er sagte spontan zu und verband die Demonstration mit einer 10-tägigen Reise durch China, worauf ihn eine 60-jährige Dame aus Deutschland begleitete. Das Ziel ihrer Demonstration im Herzen der Macht war, die Weltöffentlichkeit auf die brutale Repression der chinesischen Regierung hinzuweisen und einen friedlichen Dialog zwischen den Falun Gong-Praktizierenden und den chinesischen Behörden zu suchen. Es war von vornherein klar, dass die Mission ob der Verbocktheit der Behörden kläglich scheitern würde. Nichtsdestotrotz fanden sich am 20. November 36 Personen aus 11 Nationen auf dem Tiananmen-Platz wieder, um auf ein gemeinsames Zeichen hin abzusitzen und zu meditieren. Vier weitere Praktizierende entrollten ein Transparent. Keine 30 Sekunden (!) greift eine Vielzahl von Polizisten in das provokante Geschehen ein. Generalstabsmässig wird eine Wagenburg um die Unruhestifter gebaut, um möglichst wenig öffentliches Aufsehen zu erregen. Frauen werden unzimperlich an den Haaren in die Busse gezerrt, Männer werden wie Frachtgut in die Busse gehievt. Einigen gelingt die Flucht aus den Bussen. Mit wehender Fahne in der Hand rennt ein Praktizierender über den Platz. Ehe er sich versieht, wird er von einer enervierten Horde von Polizisten umzingelt, die nun ihre Samthandschuhe definitiv zu Hause vergessen haben. Schließlich sahen sich die Polizisten als logische Gewinner und die Praktizierenden, mittlerweile mit blutenden Nasen, angeknacksten Rippen, blauen Flecken und gebrochenen Fingern, als logische Verlierer. Nach der freien Busfahrt erreichen die Praktizierenden den Polizeiposten, wo sie allesamt in einen winzigen Verhörraum gepfercht werden, der sich im Kellergeschoss des Polizeipostens befindet. Jemandem gelingt es noch, mit einem gut versteckten Handy die deutsche Botschaft zu verständigen.

Die Falun Gong-Praktizierenden

Vier Stunden dauert der Horror in der 10 qm grossen Zelle mit gekachelten Wänden und fensterlosem Antlitz. Danach werden 20 Personen, die aus China ausgewiesen werden sollen, in einen Hotelkonferenzraum überführt, wo sie von 60 Staatssicherheitsbeamten bewacht werden. Den Häftlingen gelingt es abermals, die deutsche Botschaft zu verständigen, die sich genau gegenüber dem Hotel befindet. Als Mitarbeiter der Botschaft zur Hilfe eilen wollen, beginnt die Polizei mit einer Desinformationskampagne und einem Verwirrspiel und weiss plötzlich nichts von Gefangenen. Mit Einbruch der Nacht beginnen die Verhöre und damit der eigentlich schlimmste Teil der unfreiwilligen Tuchfühlung mit dem chinesischen Staatsapparat. Eine gespannte und ungewisse Stimmung tastet sich langsam herein, die Polizei nötigt einen Gefangenen mit Schlägen und Fusstritten, das Verhörprotokoll zu unterschreiben, worauf sich der Gefangene jedoch weigert. Todesdrohungen von Seiten des Staatssicherheitsdienstes tragen ihren Anteil dazu bei, dass sich in dieser verzwickten Situation niemand mehr seines Wissens und körperlichen Integrität gewiss sein konnte. Selbst bei der sehr persönlichen Verrichtung der Notdurft werden sie bewacht… Die Gefangenen durchlaufen allesamt ein Tal der Ungewissheit und die Angst vor Repressionen ist ein ständiger Begleiter. Im Morgengrauen findet das Spektakel des Grauens nach 24 Stunden ein Ende Alle Gefangenen durften, mussten oder konnten nach Hause reisen.

Opferbereitschaft oder Naivität

Zusammengepfercht im winzigen Verhörraum

Nach diesem Erlebnisbericht muss sich der Leser fragen, aus welcher Motivation die Falun Gong- Praktizierenden überhaupt nach China gereist sind. Daniel Ulrich wollte den Protest gegen die Behandlung chinesischer Praktizierender in das Herzen Chinas tragen. Ob das naiv oder Opferbereitschaft ist, mag dem Urteil des Lesers unterliegen. Trotz all den Unannehmlichkeiten, die sie durchlebt haben, wussten die Gefangenen immer ihre Botschaften hinter sich, die zwar politisch und rechtlich nicht viel ausrichten konnten, aber dennoch im Hintergrund einfach anwesend waren. Selbst die höchsten Stellen der UNO wurden über den Vorfall unterrichtet. Als erschreckend beurteilt Daniel Ulrich das Unwissen der Polizisten um die Falun Gong- Bewegung. Viele Polizisten sind der Ansicht, dass die „XXX“ den Mitgliedern die Herzen ausreißt und auf der ganzen Welt verboten ist. Zudem werden nur Misantropen zur Behandlung von Gefangenen benutzt, die vernünftigen und lieben Polizisten werden, böse gesagt, zur Regelung des Straßenverkehrs eingesetzt. Der chinesische Staatsapparat hat gesprochen.

Oliver Vedolin

Stellungnahme der Redaktion

Mit folgendem Artikel verneint die Redaktion jegliche politische Positionierung und subjektivempfundene Werthaltung menschlichen Daseins. Der Artikel ist als Denkanstoss für die studierenden der Universität St.Gallen gedacht und soll auf die zahlreichen Ungerechtigkeiten und Grausamkelten auf der Welt hinweisen, die sich mit unserer westlichen, demokratisch getränkten Weltanschauung nicht vereinbaren lassen. Der Artikel soll ohne Vorbehalte genossen werden, auch wenn er aus Sicht eines Betroffenen geschildert wurde, und somit eine subjektive Färbung nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Die Studierendenzeitung prisma versucht mit der Veröffentlichung des Artikels, umfassende Meinungsbildung zu betreiben und kritisches Denken zu fördern.

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