,,Mama, du fehlst mir so sehr!”

Im Folgenden ist ein Brief von Boru an seine Mutter zu lesen, die in einem Zwangsarbeitslager eingesperrt ist:

„Mama, wie geht es dir?

Ich habe dich so lange nicht gesehen. Du fehlst mir so sehr! Ich schreibe diesen Brief, bin mir aber nicht sicher, ob man dir erlaubt, ihn zu lesen. Ich hoffe aufrichtig, dass dich ein freundlicher Aufseher ihn lesen lässt.

Als wir den kleinen Tianhang bei jemandem gelassen hatten, gingen Großmutter und ich mit dem Rechtsanwalt mit, um nach dir zu sehen. Man erlaubte uns aber nicht, dich zu sehen. Als wir am 3. Mai von einem Bekannten erfuhren, dass du in einem Rechtszentrum seist, eilten wir mit dem Anwalt dort hin. Yuan Shuqian gab nicht einmal zu, dass du dort bist. Wir konnten bis zum 16. Mai, als du schon im Zwangsarbeitslager warst, keinerlei Nachrichten über dich erfahren. Ich musste diesen Brief schreiben, da es mir unmöglich ist, dich zu besuchen.

Mama, wir waren eine sehr glückliche Familie. Großmutter, Großvater und Tantchen lebten bei uns und wir haben viel miteinander gelacht. Aber seit dem 20. Juli 1999, in meinen Kinder- und Teenagerjahren, brach ein Unglück nach dem anderen über uns herein. Unsere Familie wurde auseinandergerissen.

Am Morgen des 20. Juli 1999 drängten sich etwa 20 Zivilpolizisten in unser Haus und du und Vater, ihr wurdet festgenommen und unsere Wohnung wurde auf den Kopf gestellt. Man ließ mich erschrocken und weinend allein zurück. In den folgenden 50 Tagen kümmerte sich niemand um mich. Ich war damals noch keine zehn Jahre alt. Ich musste umherwandern. Eines meiner Beine entzündete sich und eiterte.

Schließlich kamst du zurück, doch wir hatten kein normales Familienleben mehr wie zuvor. Die Polizei rief uns an, belästigte uns und nahm dich sogar fest, als es ein Feiertag war. Du durftest Shijiazhuang nicht verlassen. Es war unmöglich, zu den Großeltern zu gehen oder kleine Reisen zu machen. Gegen Ende Juni 2000 fingen deine Geschäftsführer an, zu uns zu kommen und uns zu belästigen. Sie zwangen dich, einen „Garantiebrief“ zu schreiben [um Falun Gong aufzugeben] und hielten dein Gehalt zurück. Ihr habt beide eure Arbeit verloren und so haben wir gar kein Einkommen mehr.

Am Abend des 19. Juli 2000 kam der Chef der Polizeistation Oststraße zu uns, nahm dich fest und entließ dich nach neun Tagen. Im September 2000 wurde Vater verhaftet, weil er im Zug ein Falun Gong-Buch gelesen hatte. Er kam in verschiedene Polizeistationen und blieb fünf Tage lang in Haft. Später kam eine Gruppe von Polizisten und durchsuchte unser Haus. Am Feiertag des 1. Oktober 2000 versuchten Agenten der Polizeistation Oststraße und von der Sittenpolizei mit Leuten des Wohnviertel-Komitees uns festzunehmen und durchsuchten unser Haus noch einmal. Es gelang ihnen nicht, weil du protestiert hast. Jedenfalls wagten wir nicht, noch länger in unserem Hause zu bleiben und gingen ins Exil, bis die Feiertage vorbei waren.

Am 5. Dezember 2000 verhafteten ein Dutzend Zivilpolizisten Vater zu Hause und durchsuchten unser Haus wiederholt. Großmutter war so verängstigt, dass sie zitterte. Dann konnte sie sich nicht mehr bewegen und zog sich in ihr Bett zurück. Von da an beschleunigte sich ihr Herzschlag, sobald jemand an die Tür klopfte. Dieses Mal warst Du einsichtiger und wolltest fortgehen, doch gab es keinen anderen Ort, zu dem man gehen konnte, als nach Peking, um für Gerechtigkeit für Falun Gong zu appellieren. Die Polizei in Peking schlug dich so heftig, dass dein ganzer Unterkörper schwarz wurde. Zuerst erbrachst du Blut und später hattest du drei Wochen lang Blut im Stuhl. Dein ganzer Körper war geschwollen. Du konntest die Augen nur einen Schlitz weit aufmachen, keine Schuhe anziehen und auch nicht gehen.

Während des Aufenthalts in einer Pekinger Polizeistation verbot dir die Polizei, zur Toilette zu gehen. Im Pekinger Haftzentrum Chongwen gaben dir die Aufseher Drogen und ließen dich sehr leiden. In dieser Lage schickte man dich wegen deiner Symptome für einen Tag in das Haftzentrum Luancheng und dann zurück nach Shijiazhuang. Schließlich entließen dich die Beamten. Als du wieder gesund warst, gingst du hinaus, um Gerechtigkeit für Vater zu erlangen. Agenten der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) benutzten jedes Mittel, um deinen Appell zu verhindern. Sie fanden Vorwände, um dich zu fangen, bedrohten dich per Telefon, sie drohten dir sogar, dass sie mich festnehmen würden. Gewöhnlich nahmst du mich mit ins Exil, da wir nicht nach Hause gehen konnten. Du musstest zudem noch arbeiten, damit wir überleben konnten. Wie schwer muss das alles für dich gewesen sein!

Als Vater in einem Zwangsarbeitslager war, ließen ihn die Beamten lange Zeit nicht schlafen. Er war so erschöpft, dass er unfreiwillig einschlief. Einer der Führer veranlasste einen Strafgefangenen dazu, ihm die Fingernägel mit einem Zigarettenanzünder zu verbrennen. Ein anderes Mal wurde Vater an einen metallenen Zaun gefesselt, so dass beide Füße den Boden nicht berührten. Sie ließen ihn erst nach drei Tagen frei. Er wurde ständig von einem Strafgefangenen überwacht. Wenn er die Wand mit den Füßen berührte, schlug man seine Fußgelenke. Ich habe gehört, dass die Strafgefangenen ihre Strafzeit verkürzt bekamen, wenn sie gegen Falun Gong-Praktizierende hart und grausam vorgingen. Die Strafgefangenen, die ihn überwachten, arbeiteten sehr schwer und folgten ihm sogar zur Toilette.

Da Vater die ganze Zeit unter Druck und Angst stand, wurde er traumatisiert und wurde allmählich immer schwächer. Als man ihn Anfang des Jahres entließ, brachte man ihn in ein Krankenhaus, wo man eine Magenkrankheit bei ihm feststellte. Es bestand außerdem der Verdacht auf Lungenkrebs. Die Lagerbeamten hatten wiederholt unsere Forderungen nach ärztlicher Behandlung abgewiesen. Als nun sein Leben wirklich in Gefahr war, entließen sie ihn.

Endlich kam der Augenblick, dass Vater wieder nach Hause konnte. Da sah Vater sein Abbild in einem Spiegel: einen Mann mit vollkommen weißem Haar. Er senkte sofort den Kopf. Tagelang saß er für sich allein und wollte mit niemandem Kontakt haben. Er magerte ab. Sein Husten wurde schlimmer. Seine Stimmung war auch schlecht. Er zog sich zurück, sobald er die Verkehrspolizei erblickte. Er wurde ängstlich, wenn er jemanden an die Tür klopfen hörte, und sein Geist stand vor einem Zusammenbruch. Seine Gesundheit verschlechterte sich jeden Tag, und er starb am 9. Oktober 2003. Ich hatte keinen Vater mehr.

Tantchen war gesund geworden, als sie anfing, Falun Gong zu praktizieren. Im Juni 2001 wurde sie ins 1. Haftzentrum von Shijiazhuang geschickt. Dort trat sie in einen dreiwöchigen Hungerstreik. Sie war übermäßig schwach und mehrere Male stand sie knapp an der Schwelle zum Tode. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als mit Onkel ins Exil zu gehen.

Sie litt so stark und musste ihr neugeborenes Baby Tianhang hergeben und brachte es schließlich zu uns, damit wir für es sorgten. Ende Mai 2004 schickte ein freundlicher Mensch Tantchen zu uns nach Hause, als sie schon fast bewusstlos war. Nach fünf Tagen Behandlung im Krankenhaus starb sie an Gehirnentzündung. So verlor Tianhang seine Mutter.

Nachdem Onkel Xiaofeng Tantchen verabschiedet hatte, musste er seinen einjährigen Sohn verlassen. Vor Dafa hatte er ein hitziges Gemüt und man kannte ihn in der Nachbarschaft als Kämpfer. Durch das Praktizieren von Falun Gong wurde er ruhig und freundlich gegenüber anderen Menschen. Er lernte fleißig, arbeitete schwer und wurde ein besserer Mensch. Da er aber ein Falun Gong-Praktizierender war, wurde auch er durch die böse Verfolgung heimatlos. Niemand weiß, wo er sich befindet.

Großvater war immer sehr gesund. Aber nach dem Tode seines älteren Schwiegersohnes und seiner jüngeren Tochter weinte er oft, wenn er seinen kleinen Tianhang so allein sah. Die Polizei kam zu uns nach Hause, um uns zu belästigen. Großvater starb – niedergedrückt, beunruhigt und verängstigt.

In anderthalb Jahren verlor unsere Familie drei Mitglieder. Du warst diejenige, die uns alle stützte. Dein starker und optimistischer Geist hielt die Familie am Leben und zusammen. Tianhang und ich kämpften nie mit anderen Kindern um das, was wir besaßen. Solange wir Mutters Fürsorge hatten, waren wir glücklich, doch wir dürfen nicht mehr mit ihr zusammen sein.

Mama, nun sind nur noch unsere 70-jährige Großmutter, Tianhang und ich zu Hause. Wir haben keinerlei Einkommen. Der Anwalt schlug vor, eine Niedriglohn-Versicherung zu beantragen, aber selbst das konnte uns nicht unterstützen. Wir hörten außerdem vom Wohnbezirks-Komitee, dass es bestimmte Voraussetzungen erfordere. Wir wollen von niemandem kontrolliert werden. Wir müssen stark sein! Ich werde die Last, die Familie zu ernähren, auf mich nehmen. Wenn ich in diesem Semester die Schule beende, werde ich die Schule verlassen und arbeiten gehen. Ich werde meine Großmutter unterstützen und meinen jüngeren Vetter zur Schule schicken. Mama, sorge dich nur nicht um uns!

Mama, früher hatte ich Angst. Nach all diesen Jahren voller Leiden fing ich an, inspirierende Gedichte zu rezitieren. Ich bin jetzt nicht mehr depressiv und verängstigt. Mama, dort zu leben, wo du leben musst, das muss qualvoll sein, besonders, weil es dich von deinen Lieben trennt. Sorge dich nur nicht um uns. Das Zitieren der Gedichte hilft mir, die Härte zu ertragen.

Mama, du fehlst mir so sehr! Ich habe mehrmals geträumt, dass du zurückkommst. Ich glaube, dass der Tag nicht mehr fern ist!

In Liebe
Dein Sohn Boru“

11. Juni 2009

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