menschenrechte (D), Nr. 3 2002: INTERVIEW: Menschenrechte sind die Kernaufgabe des Europarates

Herausgeber von ‚menschenrechte‘ ist die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, Deutsche Sektion e.V.

Eduard Lintner, christlich-sozialer Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Bad Kissingen und ehemaliger Staatssekretär im Bundesinnenministerium, gehört seit 1999 auch der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg an. Seit Januar 2002 ist er Vorsitzender des Rechts- und Menschenrechtsausschusses, der durch vielfältige Aktivitäten, zum Beispiel seine öffentlichen Anhörungen, unangemeldete Inspektionen in Verfolgerstaaten, das Eintreten gegen Folter, für Verschleppte und Inhaftierte in der europäischen Menschenrechtspolitik eine zentrale Rolle spielt. Mit Eudard Lintner sprach Martin Lessenthin.

Welche Bedeutung haben Menschenrechtsfragen und die Durchsetzung der Menschenrechte für die Arbeit des Europarates?

Die Kontrolle und die Beobachtung der Menschenrechtssituation sind die Kernaufgabe des Europarates. Der Ausschuß für Recht und Menschenrechte ist das zentrale Organ des Europarates und arbeitet an ‚vorderster Front‘ für die Einhaltung der Menschenrechtskonvention. Die Arbeit des Ausschusses erfolgt ohne jeden Opportunismus und ohne Rücksicht auf das Ansehen des jeweiligen Staates.

Die Berichterstatter des Europarates recherchieren unabhängig und mit Nachdruck in den jeweiligen Staaten, zum Beispiel wenn es um Verschwundene oder Haftbedingungen geht. Ebenso nachdrücklich werden die Themen dann im Ausschuß behandelt. Inspektionen finden unangemeldet statt. Dies ist die Basis für Verbesserungen in den Staaten, über die Beschwerden zur Menschenrechtslage vorliegen.

Wie beurteilen sie die Auffassung des Auswärtigen Amtes, Deutschland solle auf einen öffentlichen politischen Vorstoß g egen Steinigungsurteile verzichten, da in islamischen Staaten dieses Eintreten als Bevormundungsversuch und frontaler Angriff auf die eigene Lebensart empfunden werde?

Das ‚Argument‘, öffentliche Kritik an der Steinigung sei eine Bevormundung und ein Angriff auf die eigene Lebensart, kann im Falle von Steinigung nicht gelten. Hier geht es um den ‚Schutz von Leib und Leben‘ und insbesondere um die Respektlosigkeit von Frauen. Scharia-Urteile sind auch in der islamischen Welt umstritten. Wenn sich die Regierungen der freien Welt mit Protesten gegen Steinigungsurteile zurückhielten und dies mit der angeblichen ‚Bevormundung‘ begründeten, so handelte es sich um eine Form der Unaufrichtigkeit. Die Rücksicht auf eine Angst vor Bevormundung ist der Bedeutung des Problems nicht angemessen. Auf Dauer werden sich Beziehungen zwischen Staate nicht dadurch verschlechtern, daß eine Seite öffentlich Steinigungsurteile kritisiert.

(…)

Auch öffentliche Kritik an der Menschenrechtssituation in der Volksrepublik China wird gerne als kontraproduktiv dargestellt. Es heißt, sie pralle an der asiatischen Mentalität und einem anderen Menschenrechtsverständnis ab und verschlechtere die Situation der Verfolgten. Wie bewerten Sie diese Sicht der chinesischen Verhältnisse?

Die Menschenrechtssituation in China ist ein Sonderproblem. Ich fürchte, das Menschenrecht auf Freizügigkeit wird dort auf absehbare Zeit nicht durchsetzbar sein und für bestimmte Einschränkungen, die in China gemacht werden, habe ich sogar Verständnis. Was sich aber sofort ändern muß ist der gegen die Falun Gong-Bewegung eingeschlagene Kurs. Die Verbrechen an den Angehörigen dieser Bewegung sind grauenhaft. Das muß auch öffentlich ausgesprochen werden.

(…)

Chinas Minderheitenpolitik gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten, öffentliche Hinrichtungen, Folter, Frauenhandel und Zwangsabtreibungen dokumentieren den qualitativen und quantitativen Standard chinesischer Menschenrechtspolitik. Zugleich ist die Volksrepublik China Sicherheitsratsmitglied der VN und militärische Supermacht, Handelsnation und Ziel von Investoren. Wie sollte die Menschenrechtspolitik darauf reagieren?

Zum Teil wird die Verfolgung von Minderheiten mit Bestrebungen zur Sezession begründet. Der Europarat kann Bestrebungen zur Sezession nicht unterstützen, wohl aber das Verlangen nach weitgehender Autonomie.
Wir können kein Interesse daran haben, daß die Öffentliche Ordnung in China gefährdet ist. Zugleich besteht das Problem, daß die in China Regierenden ein subjektiv anderes Empfinden dafür haben, wodurch die öffentliche Ordnung bereits gefährdet sein kann. Wir müssen den Dialog führen und Überzeugungsarbeit leisten, daß zum Beispiel die Todesstrafe grundsätzlich abgeschafft werden muß.

(…)

Ist zu erwarten, daß aktive Menschenrechtspolitik nicht mehr überwiegend Politik nationaler Parlamente, sondern europäische Aufgabe – sprich des Europaparlamentes und des Europarates – wird?

Nein, denn Menschenrechtspolitik muß national und supranational stattfinden. Der Europarat kann mit der Mehrheit seiner Mitglieder gegen Folter und Todesstrafe vorgehen, einzelne Staaten können ihre besonderen Beziehungen nutzen. Niemand, der sich in einem Land engagiert, kann sich herausreden, wenn es darum geht, das Sinnvolle zu tun. Ob Ölgesellschaften in Nigeria, und Sudan oder ehemalige Kolonialstaaten: Sie alle müssen ihren Einfluß dort nutzen, wo die Menschenrechte in Gefahr sind.

Ist Rechtlosigkeit generell eine Gefahr für Investoren, die sich wirtschaftlich in Staaten wie Vietnam, China, Sudan, Simbabwe oder Nigeria engagieren wollen?

Generell bietet das Engagement Chancen, die ein Boykott nicht bieten kann. Wirtschaftliche Sanktionen gegen eine Staat treffen leider die Zivilbevölkerung zuerst, die bereits Opfer derjenigen ist, denen die Sanktionen politisch zugedacht sind. Wachsender Wohlstand bewirkt dagegen, daß die Menschen in den Staaten Beschäftigung finden, Unabhängigkeit und Selbstbewußtsein gewinnen und über bessere Informationen verfügen. Dies nutzt mittelbar der Verbesserung der Menschenrechtsssituation. Sinnvoll sind nur solche Sanktionen, die die Täter persönlich betreffen, zum Beispiel ihre Reisefreiheit. Sinnvoll wäre auch, wenn Personen wie Simbabwes Mugabe und sein politisches Umfeld nicht mehr damit rechnen können, daß man auf der politischen Ebene noch mit ihnen spricht.

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