Tages-Anzeiger: China blockiert den Uno-Gipfel

(15.11.12003) Genf. – Demnächst findet in Genf der Uno-Weltgipfel über die Informationsgesellschaft (WSIS) statt. Auch nach mehreren Vorbereitungskonferenzen konnten sich die Regierungen noch nicht auf eine Grundsatzerklärung und einen Aktionsplan einigen. Am meisten Probleme schafft die Haltung Chinas. Peking versteht den WSIS als rein technisch-wirtschaftliche Konferenz zur Überwindung des digitalen Grabens und will die Menschenrechte und die Rolle der traditionellen Medien ausgeklammert haben. Die EU, die USA und das Gastland Schweiz wollen dem chinesischen Druck nicht nachgeben. Weil die Gipfeldokumente den Konsens aller Mitgliedsstaaten verlangen, könnte Chinas Veto dazu führen, dass beim Gipfeltreffen keine Dokumente vorliegen. Einige Hoffnungen ruhen nun auf Bundespräsident Pascal Couchepin, der nächste Woche zu einem Staatsbesuch nach China reist. (R. B.)

KOMMENTAR aus dem Tagesanzeiger

Die Dritte Welt als neue Kraft

Von Marlène Schnieper, Genf

In einem Monat soll in Genf der Uno-Gipfel zur Informationsgesellschaft eröffnet werden. Die Vorbereitungen dazu standen von Anfang an unter einem unglücklichen Stern. Zu unterschiedlich waren die Erwartungen, die Industrienationen und Entwicklungsländer an das Treffen knüpften, zu unscharf formuliert die Ziele, auf die man zusteuern wollte.

Die Schweiz als Gastgeberin hat inzwischen einiges dafür getan, dass Information an dem Gipfel in all ihren Aspekten diskutiert wird und dass an diesen Gesprächen nicht nur Regierungen, sondern auch Nichtregierungsorganisationen teilnehmen können.

Doch jetzt verlangt China, Themen wie Meinungsvielfalt und Menschenrechte aus den Traktanden zu streichen. Peking war stets nur am technischen Austausch gelegen, einen politischen Gipfel wollte es nie. Nun stocken die Vorbereitungen in Genf erneut, schon fürchten die Organisatoren einen «G-21-Effekt».

G-21 steht für die Gruppe von Ländern der Dritten Welt, die heute von Brasilien angeführt wird. Auch China zählt dazu. Es sind Entwicklungs- und Schwellenländer, die gerade ihre eigene Wirtschaftskraft entdecken und daraus ein neues Selbstbewusstsein schöpfen. Ob es um den Schutz des Regenwaldes, Nutzungsrechte am Wasser oder die Liberalisierung des Welthandels geht – in vielen Diskussionen innerhalb der Staatengemeinschaft vertreten die Habenichtse von einst ihre Interessen leidenschaftlicher denn je.

Am jüngsten Gipfel der Welthandelsorganisation in Cancún hielten sich etliche Entwicklungsländer an die Losung «Alles oder nichts!». Die Industriestaaten ließen sich das nicht gefallen. So ist dieser Gipfel in Mexiko gescheitert, und jeder nächsten internationalen Konferenz kann ein Gleiches passieren, solange nicht beide Seiten von ihren maximalen Forderungen abrücken

G-21 steht freilich nicht nur für Brasilien und China, sondern für einen ganzen Kontinent mit einem riesigen Nachholbedarf. Nord muss Süd demnach ein schönes Stück mehr entgegenkommen, wenn der Genfer Informationsgipfel doch noch unter guten Vorzeichen stattfinden soll.

Kommentar 5. Spalte, Bericht Seite 5

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