Eine unwürdige Behandlung für friedliche Menschen (Teil 2)

Wir finden uns alle wieder in einem abgewetzten großen Raum mit Tischen, Stühlen, Hockern, Heizung auf Hochtouren, Fenster in Kopfhöhe, vergittert. Ich empfinde Gelassenheit. Einige protestieren mehr, andere weniger, Gegenreaktionen und beängstigendes Gebrüll der Gegenseite, Chinesen in Zivil tauchen auf. Sollen sie doch, Büro 610? Und wenn schon. Es prallt an mir ab. In Türnähe liegt jemand verletzt am Boden. Unter uns ist ein Arzt, der sich darum kümmert, angeblich nichts Besorgniserregendes. Einige von uns werden am Körper kontrolliert, die meisten Handys konfisziert, Pässe und Personalien erfragt, teilweise verweigert, da uns verweigert wurde Kontakt mit der Botschaft aufzunehmen. Es wird immer wieder versucht, uns einzeln aus dem Raum zu holen. Jeder widersetzt sich friedlich und entschlossen. Die Verständigung: einige Polizisten und Zivilgekleidete sprechen Englisch, mindestens drei von uns sprechen Chinesisch, mehr oder weniger gut. Einer der deutschen Praktizierenden verschenkt seine letzten kleinen Faluns [Zeichen von Falun Gong]. Ich stecke eins an meine Bluse und kann es die ganze Zeit über tragen. Wir werden aufgefordert, den Raum einzeln zu verlassen, halten aneinander fest, gehen unter Gerangel aus dem Raum in den Flur, zwei Deutsche weigern sich, wollen ihren Paß nicht abgeben, werden in anderen Raum gezerrt. Ich weigere mich standhaft, eine Treppe mit den anderen runterzugehen, wenn die beiden Fehlenden nicht dazukommen, erlebe mehrmals, wie kräftig die Griffe chinesischer Polizisten sein können (die blauen Flecken habe ich erst hier entdeckt), ich sage laut „don’t touch me, I‘m a woman!“ Blitzartig lassen sie jedesmal von mir ab. Ich habe eine lebhafte Vorstellung davon, wie es mir hier als Chinesin erginge, erbarmungslos! Die beiden kommen aus einem Raum heraus, unverletzt.
Eine Übermacht an Polizisten treibt uns mit Gewalt eine enge Treppe nach unten; jetzt erst begreife ich, warum die meisten sich so dagegen gewehrt haben, das heißt nämlich ab in den Keller, das Verlies, nichts dringt an die Außenwelt, Enge und eiskaltes Nichtexistieren. Die Polizisten hilflos gegenüber meiner Weigerung, das Handy rauszurücken, keiner wagt, es von meinem Hosenbund zu nehmen und sie sind wütend! Ein Blick um die Ecke nach rechts, ich kann es nicht fassen, die ganze Gruppe wie eine Herde Vieh hinter Gitterstäben, ganz vorne meine Frankfurter! Ich habe für sie, für mich keine Angst, aber der Anblick ist schlimm, es ist etwas geschehen, was nicht geschehen darf, und ich kann es nicht ändern. Ich soll hinein, weigere mich konstant und entschieden, vielleicht habe ich gebrüllt, sie lassen von mir ab, wollen mein Handy, wagen nicht, es unter dem Hemd von meinem Hosenbund zu nehmen. Ich profitiere von der Angst der Gegenseite, einen falschen Schritt zu tun. Aber chinesische Praktizierende an meiner Stelle? Sie haben nicht die geringste Chance, niemand hört, niemand sieht, niemand erfährt, was hier unten geschieht, niemand wird für seine Vergehen an ihnen zur Rechenschaft gezogen werden, hier spielen sich Folterszenen ab, die uns unter Gefahr des eigenen Lebens berichtet wurden. Dies zu ändern, dem Einhalt zu gebieten, bin ich ein Teil unserer Aktion. Das gibt mir Stärke und läßt die Gegenseite meine Stärke spüren. Nach kurzer Zeit die Ankündigung „Hochgehen, oben steht Wasser bereit.“ Mein Kommentar „Ja, versalzenes!“ [A.d.R.: Versalzen bezieht sich darauf, dass chinesische Praktizierende, sobald sie in den Hungerstreik treten,- meistens der letzte verzweifelte Versuch gegen die Unmenschlichkeit in den chinesischen Gefängnissen und Arbeitslagern zu protestieren – mit hochkonzentrierter Kochsalzlösung zwangsernährt werden. Viele sind an dieser grausamen Prozedur gestorben.] Aber es sind tatsächlich originalverpackte Wasserflaschen, wir trinken, ich spüre Unsicherheit auf der anderen Seite, unsere ganze Gruppe konzentriert sich auf aufrichtige Gedanken. Ich bin wie benommen, beobachte, aber meine Denktätigkeit ist deutlich reduziert. Immer wieder Bewegung an der Tür, mal der eine, mal der andere von uns spricht mit einem Polizisten, ich kann es kaum glauben, sie sprechen über Falun Gong, Fa wird verbreitet, berichtigt!

Gegen 19 Uhr heißt es: alle raus mit allem Gepäck. Wieder halten wir uns dicht aneinander, keiner darf separiert werden. Draußen geht es in mehrere Busse, die Formation: auf den hintersten beiden Reihen und den Fensterplätzen Polizisten, die Innenplätze für uns. Vor uns und hinter uns eine Eskorte von jeweils sieben Polizei-PKWs mit Blaulicht. Das Airport Garden Hotel: gepflegt, keinerlei Gäste, kein Personal, beim Aussteigen wimmelt es von Polizei, wir werden gefilmt. Die Treppen hoch in einen sehr großen Raum, Parkett, Fenster, Lederfauteuils an den Wänden. Wir setzen uns, sie uns gegenüber, je zwei Reihen, keine Ordnung für mich erkenntlich. Zivilgekleidete tauchen auf, scharfes Brüllen, das mich kurz durchfährt, aber sofort kalt läßt, aufrichtige Gedanken in der Gruppe. Wir werden gefilmt, wir werden fotografiert. Einige wehren sich heftig, man versucht, uns zu überzeugen. Ich stelle mich nicht dar, aber lasse geschehen. Mir werden meine Fotos gezeigt, ich will sie gar nicht sehen, sie freuen sich und finden sie schön. Was soll das nun wieder bedeuten? Ich will nicht kooperieren, sondern ein gutes Benehmen zeigen und ein solches einfordern. Die Polizisten sitzen, rauchen wie die Schlote, spielen mit ihren Handys, die Luft ist widerlich. Stunden vergehen, wir lesen im Buch, lesen zusammen Jingwen, machen im Kreis sitzend die 5. Übung, ich lese „Zhuan Falun“ in meinem Mini-Computer, während neben mir ein Polizist zuschaut. Unsere überwiegend jungen Bewacher rauchen teilweise Kette. Wir machen die Fenster hinter den Gardinen auf, man schreitet dagegen ein, dann geht es doch, ich kann mit meinem deutschen Reiseleiter, der bei unserer 2-wöchigen Tour aus Ffm mitkam, telefonieren.

Er versteht nicht, was uns passiert ist, weil er keine Ahnung hat, was Falun Gong ist! Ich werde beobachtet, mit meinem Telefon muß ich aufpassen. Aber es ist leise gestellt wie immer – denke ich! Und auf einmal klingelt es, ganz laut. Ich zucke ein klein wenig, ein Polizist kommt angerannt, ich lasse es klingeln, fixiere den Mann, er geht auf seinen Platz zurück. So geht das also.
Ein wenig Austausch untereinander. Jeder hat so seine Gedanken, vielleicht auch Gedankenleere wie ich manchmal. Toilettengänge gestalten sich für jeden anders. Beim ersten Mal bin ich sehr schnell und knalle meinen beiden Bewacherinnen die Tür vor der Nase zu. Beim zweiten Mal gewinnen sie, zunächst! Denn ich renne einfach wieder raus, greife mir einen Polizisten (wohlbemerkt: männlich), schnell zurück, Verblüffung ausgenutzt, zugeschlossen.

Später kommen Plastikbeutel mit je vier verschiedenen Speisen zum Abendessen, für jeden von uns einer. Zunächst Verwunderung, dann essen wir, wieder die Kameras rund um uns. Ich esse erst viel später, als die Bewacher nicht mehr genau auf uns achten und benutze die Gelegenheit zum Telefonieren, rechts die Stäbchen, links das kleine Gerät. Später werde ich von einem Praktizierenden aus der Schweiz gebeten, mich mit ihm zu unterhalten. In Wirklichkeit hat er im Ärmel sein Handy versteckt und telefoniert mit allen möglichen Journalisten, Knopf im Ohr, ich soll wie meine Vorgängerin seine Gespräche tarnen. Es ist schon wie Katz- und Mausspiel!

Fortsetzung folgt…

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