Thüringer Allgemeine: Seltene Siege

Menschenrechte sind keine Staatsangelegenheit, heißt es in der UN-Resolution, die 2000 in Genf verabschiedet wurde. Doch Tag für Tag werden Menschenrechte mit Füßen getreten – weltweit. Tausende Fälle, der sich die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte annimmt. Sei es durch Einzelfallbetreuung oder Protestaktionen, wie auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking.

Ein sonniger Novembertag in Peking. Hunderte Besucher eilen über den Platz des Himmlischen Friedens. Einer von ihnen ist Peter Recknagel. Der gebürtige Suhler ist Teilnehmer einer Reise mit Halbpension und Tagesausflügen. In der Tasche hat er ein Gruppenvisum, vor der Brust baumelt ein Fotoapparat. Doch dem 30-Jährigen steht der Sinn nicht nach Besichtigungstouren. Er will auf Chinas heiligstem aller Plätze gegen die Verfolgung der Falun Gong protestieren. Seit viereinhalb Jahren hängt er selbst der Philosophie an, die sich Ehrlichkeit, Gutherzigkeit und Toleranz gegenüber Andersdenkenden auf ihre Fahnen geschrieben hat.

In Frankfurt/Main, wohin ihn seine Berufsausbildung geführt hat,lernte Peter Recknagel Falun Gong-Anhänger kennen und entschied sich, ihre Bewegung kennen zu lernen. Falun Gong sei mehr als Körperbeherrschung, versucht der Student zu erklären. Dahinter stehe eine Philosophie, die deutschlandweit 2000 Anhänger eint.

In China sind es rund 70 Millionen. 70 Millionen zuviel, meint Chinas Führung. Sie ordnete per Gesetz am 11. Juni dieses Jahres die Verfolgung aller Falun Gong-Anhänger an. Es gelte, diese Bewegung auszurotten. Um das zu verhindern, nutzt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, kurz IGFM, den heutigen Tag der internationalen Menschenrechte, um auf die Situation der Falun Gong-Anhänger in China hinzuweisen. Es habe ein Mechanismus eingesetzt, der mit der Hetze auf Volksgruppen gleichgesetzt werden könne, den man aus der deutschen Vergangenheit kenne, so Martin Lessenthin, Sprecher der Menschenrechtsorganisation. In chinesischen Gaststätten hängen Schilder, die Falun Gong-Anhängern ein Betreten verbieten, Arbeiter müssen unterschreiben, dass sie dieser Ideologie abschwören – sonst verlieren sie ihre Stelle. Und in den Schulen wird vorgebetet, dass Falun Gong das Schlechte der Welt vereint. Wer nicht folgt, dem drohen Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Internierungen in Arbeitslagern und nicht selten der Tod durch Erschießung.

Warum die Angst des chinesischen Regimes vor Falun Gong? Für Peter Recknagel scheint die Erklärung einfach. Die Anhängerschar von Falun Gong wachse stetig und vereine vor allem die intellektuelle Schicht Chinas. Längst zähle Falun Gong mehr Mitglieder als die Kommunistische Partei. Die in der Bewegung engagierten Chinesen hielten ihre Ideale hoch und verweigerten die staatliche Kontrolle, erklärt der Sinologiestudent.

Die chinesische Regierung wittere Verrat hinter der Bewegung. Dem begegne der Staat mit dem vor Jahresfrist eingerichteten „Büro 610“ – ein Geheimdienst gegen Falun Gong. Er trage dafür Sorge, dass in den letzten zwei Jahren mehr als 100 000 Anhänger der Bewegung inhaftiert oder in Arbeitslager verschleppt wurden.

Er und die anderen knapp zwanzig Teilnehmer der Protestaktion auf dem Platz des Himmlichen Friedens fordern nun die Freilassung aller Falun Gong-Anhänger sowie eine sofortige Einstellung der „staatlichen Hetzkampagne“. Die erreichte am 23. Januar dieses Jahres ihren traurigen Höhepunkt. Die kommunistische Partei statuierte ein Exempel, das seine abschreckende Wirkung nicht verfehlte. Fünf Männer und Frauen verbrannten sich auf dem Platz des Himmlischen Friedens selbst. Die Regierung ordnete die fünf Opfer der Falun Gong-Bewegung zu. Recherchen ergaben jedoch, dass die fünf Männer und Frauen der Bewegung nicht nahe standen. Vielmehr saßen sie Wochen vor ihrer Selbstverbrennung im Gefängnis und wurden durch das Versprechen von Vegünstigungen für ihre Familien dazu verleitet.

„Die Regierung Chinas, die Menschenrechten nie großen Wert beigemessen hat, hat in der Falun Gong ein neues Opfer gefunden“, resümiert Peter Recknagel. Ein Opfer, das unter den Augen der Weltöffentlichkeit gejagt werde.

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In diesem Jahr wird zum Tag der Menschenrechte der Fokus auf China gelenkt. Doch die Mitarbeiter des IGFM wissen, dass auch in anderen Staaten Menschenrecht missachtet wird: in der russischen Armee, in australischen Internierungslagern oder in deutschen Gefängnissen. „Die Arbeit geht uns nie aus“, meint Lessenthin. Und er gesteht: „Wir fühlen uns oft wie David, seltener wie Goliath.“

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