Süddeutsche Zeitung, 23.07.2002: Urlaub süß-sauer

Chinesen dürfen jetzt Ferien in Deutschland machen, aber die bürokratischen Hürden sind hoch

Sie waren offiziell stets nur zum Arbeiten hier und gelten doch als größte Wachstumshoffnung der deutschen Tourismusbranche: Reisende aus China. Im vergangenen Jahr haben sie – ausgestattet mit Geschäftsreisevisa – insgesamt 512000 Mal in deutschen Hotelbetten übernachtet, fast doppelt so oft wie 1994. Nun sollen Festland-Chinesen in Deutschland sogar richtigen Urlaub machen dürfen: Am 1.Juli hat China der Bundesrepublik als erstem Land in Mitteleuropa den Status einer so genannten „Authorized Destination“ gewährt. Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) gibt in Peking Broschüren heraus, die auf Mandarin für „Bezaubernde kleine Städte in Deutschland – Romantik erleben, Kultur genießen“ werben. Und die beiden beliebtesten deutschen Urlaubsländer Bayern und Baden-Württemberg wollen vielleicht bald gemeinsam in China auf sich aufmerksam machen.

Dass Chinesen fortan ohne bürokratische Hürden Deutschland entdecken können, bedeutet das alles freilich nicht. Die staatliche Tourismusverwaltung der Volksrepublik fordert von der deutschen Industrie- und Handelskammer (IHK) bis Ende August eine Liste mit Namen deutscher Reisebüros und -veranstalter, die chinesische Pauschalurlauber nach Deutschland bringen wollen. Dann erst soll verhandelt werden, welche Reiseanbieter Chinesen mit Touristenvisum zu deutschen Sehenswürdigkeiten führen werden – nur in Gruppen, versteht sich, und vermutlich nicht zu nahe an die Grenzen zu den Nachbarländern.

„Dürfen chinesische Urlauber auch nach Frankreich fahren? Wer soll kontrollieren, ob sie es nicht tun?“, fragt Lifeng Yu vom China Travel Service Deutschland. Sein Arbeitgeber gehört zum China Travel Service Hong Kong; was in Peking ausgehandelt wird, bleibt in Frankfurt deshalb vorläufig im Dunkeln. Was das „Authorized-Destination-Status“-Abkommen genau bewirken werde, wisse er nicht, sagt Lifeng Yu. Denn noch immer sei es äußerst schwer, in China an einen Reisepass zu gelangen. Visa würden erst nach Wochen des Wartens erteilt. Immerhin müssen Deutschland-Reisende wohl bald keine Einladung mehr vorlegen, um Reisegenehmigungen zu erhalten. Bisher gaben die Behörden vor, damit sicherstellen zu wollen, bei Unfällen im Ausland einen Ansprechpartner zu kennen.

Andererseits, so Yu, hätten sich Chinesen in Deutschland trotz der Restriktionen schon immer gerne Sehenswürdigkeiten angeschaut. Offiziell galt das bislang nur als Begleitprogramm. Allerdings stuft die Lufthansa, die inzwischen 32 Mal die Woche direkt von Deutschland nach Shanghai, Peking oder Hong Kong fliegt, nur etwa 40 Prozent der Fluggäste als Geschäftsleute ein. Die DZT meldet, schon in der Vergangenheit hätten einige große Reiseveranstalter probeweise Touristengruppen für Europareisen zusammengestellt und dabei Tausende Reisende gezählt. Für Deutschland behaupte sich China trotz schwacher Weltkonjunktur als stabil wachsender Quellmarkt.
Wenn das neue Abkommen in Kraft tritt, dürften bald Wachstumsraten wie 2000 wieder möglich sein: Damals war die Zahl der Übernachtungen um 17,8 Prozent gestiegen. Damit sind Chinesen nach Amerikanern und Japanern schon heute die drittwichtigste Klientel aus Übersee.

Und es soll noch besser kommen: Heute reisen insgesamt gerade einmal gut zehn Millionen Chinesen ins Ausland, 2005 sollen es nach Schätzungen der Welttourismusorganisation (WTO) bereits mehr als 16 Millionen sein. Experten rechnen vor, dass sich sogar 60 bis 80 Millionen Chinesen eine Auslandsreise leisten können, und mindestens jeder Zehnte von ihnen wäre finanziell in der Lage, eine Europa-Reise zu unternehmen.

Der wachsende Wohlstand aber ist nur ein Grund, weshalb die WTO annimmt, dass China in knapp zwanzig Jahren die führende Reisenation der Welt sein wird. Chinesische Angestellte haben auch mehr Urlaub als früher, eine Woche mindestens, vor allem um Neujahr. Und sie dürfen mehr Devisen erwerben: 2000 US-Dollar pro Reise bei der Bank of China.

Reisebüros in der Schweiz, in Spanien und Griechenland schicken deshalb Mitarbeiter nach China, um Tourismusausstellungen zu veranstalten. Die DZT führt seit November 2001 neben ihrem Büro in Hong Kong ein zweites in Peking. Und die TUI plant, als erster europäischer Touristikkonzern, Reisen direkt an chinesische Urlauber zu verkaufen. Mit dem China Travel Service will sie dafür ein Joint-Venture eingehen. Bevor TUI China an den Start geht, wird das Hauptreiseziel der Chinesen allerdings ein nahe liegendes bleiben: Hong Kong. Die chinesische Regierung hat gerade die Bedingungen für den Aufenthalt dort erleichtert.

Jan-Frederik Valentin

Veröffentlicht am: 24.07.02

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