ZDF Online: "China hat wenig Zeit, um Desaster noch zu verhindern"

26.07.2008

Manfred Nowak

China steht vor den Olympischen Spielen in der Kritik: Menschenrechte würden in dem Land nicht gewahrt, kritisieren Organisationen wie amnesty international oder Reporter ohne Grenzen. ZDFonline sprach mit Professor Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter, über chinesische Gefängnisse, schlechte Haftbedingungen und seine Kontrollbesuche vor Ort.

ZDFonline: China steht vor den Olympischen Spielen besonders in der Kritik. War die Vergabe der Olympischen Spiele nach Peking der Auslöser Ihrer Reise nach China vor drei Jahren?

Nowak: Nein, ich habe natürlich schon an die Olympischen Spiele die Hoffnung geknüpft, dass sich dadurch die Menschenrechtssituation verbessern wird, weil ja auch die chinesische Führung ein Interesse haben sollte, sich im positiven Licht darzustellen. Oft führen solche Großveranstaltungen dazu, dass Dissidenten freigelassen werden, dass gewisse Gesetze geändert werden oder dass ein internationaler Pakt ratifiziert wird, um zu zeigen, dass man mit der internationalen Gemeinschaft kooperieren will. Diese Hoffnung hat sich leider bisher nicht erfüllt, ich hab sie noch nicht ganz aufgegeben. Aber die chinesische Führung hat nicht mehr viel Zeit, um ein absolutes Desaster zu vermeiden. Ich befürchte, dass man immer noch glaubt, jede Kritik durch Zensur oder durch die Inhaftierung von wichtigen Menschen ersticken zu können.

Info zu Professor Manfred Nowak
Der Wiener Rechtsexperte Manfred Nowak ist seit dem 1. Dezember 2004 UN-Sonderberichterstatter für Folter. Im Namen der Vereinten Nationen prüft er die Bedingungen für Häftlinge und ob die Gefangenen gefoltert werden. Er erstattet der UN-Generalversammlung Bericht.

Während Inspektionsreisen kann er uneingeschränkten Zugang zu allen Gefängnissen beanspruchen. Als Sonderberichterstatter ist er dabei keinem Land und keiner Regierung verpflichtet. Nowak, 1950 in Bad Aussee (Österreich) geboren, ist Professor an der Wiener Universität und Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte.

ZDFonline: Sehen Sie denn noch die Möglichkeit, dass China seine Politik ändert?

Nowak: Ich habe gehofft, dass sich im Vorfeld der Olympischen Spiele wirklich was verändert. Ich habe die Hoffnung auch noch nicht ganz aufgegeben. Es muss der chinesischen Führung auch wirklich klar werden: Wenn sie so weitermachen, dann sagen zunehmend auch Politiker aus wichtigen Staaten, dass sie sich für diese Propagandaveranstaltung nicht hergeben. Das heißt, wenn wirklich keine wichtigen Politiker mehr zur Eröffnungsfeier kommen, dann ist das schon ein schwerer Schlag. Wenn möglicherweise auch noch Athleten ihrem Unmut Ausdruck verleihen, oder auch erst gar nicht antreten, dann ist das ein Zeichen. Jetzt kann die chinesische Regierung vielleicht noch in letzter Minute positive Schritte setzen, die sie dann auch verkaufen kann.

Definition von Folter

"Laut der UN-Konvention gegen die Folter ist die vorsätzliche und zweckgerichtete Zufügung schwerer psychischer oder physischer Schmerzen oder Leiden gegenüber einer wehrlosen Person als Folter bezeichnet. Und das ist in der Regel eine Person, die in Haft ist durch ein staatliches Organ. Zweckgerichtet heißt, dass es insbesondere zur Erzwingung von Geständnissen oder zur Erlangung von Information, aber auch zur Einschüchterung dient."

ZDFonline: Wie sieht es konkret vor Ort aus, wenn sie die Gefangenen besuchen?

Nowak: Für das Vertrauensverhältnis, das ich zu einem Häftling herstellen muss, ist ein Mikrofon störend. Daher nehme ich kein Tonband mehr mit. Ich muss dieses Vertrauen herstellen, und das heißt, dass ich immer mindestens eine weitere Person dabeihabe, weil man nicht gleichzeitig schreiben und interviewen kann. Ich muss der Person ins Auge schauen, ich muss sehen können, dass wir einander vertrauen. Ich habe auch immer forensische Experten dabei, denn sobald ich das Interview beendet habe, und die Person sagt, dass sie gefoltert worden ist, dann frage ich sie, ob sie auch bereit ist, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen.

ZDFonline: Und wie sichern Sie Beweise?

Nowak: Wir haben immer eine Video- und Fotokamera dabei. Diese Dokumentation ist unheimlich wichtig. Und ich versuche, mit den Verantwortlichen vor Ort zu diskutieren, das bringt oft sehr viel. Ich war zum Beispiel im Polizeihauptquartier in Katmandu. Dort waren gerade zwei Häftlinge, die verhört wurden und die sagten, dass sie gefoltert wurden. Da bin ich dann in die Zellen und habe auch ziemlich viel gefunden und fotografiert, die Menschen hatten Hämatome, waren ganz blau geschlagen. Dann bin ich zum Polizeichef von Katmandu gegangen. Auf die Frage, ob er Folterfälle habe, sagte er, Folter gebe es hier nicht. Da habe ich ihm die Fotos gezeigt und er konnte dann nicht mehr einfach so lügen. Ich bekomme dann schon Eingeständnisse, die nehme ich dann aber auch auf Tonband auf.

ZDFonline: Wie hoch ist die Anzahl der Folteropfer, die sie nicht sehen möchten, weil sie Konsequenzen befürchten?

Nowak: Das hängt ganz vom Land ab: China war sehr schwierig. Das ist für mich ein Indikator für die Unterdrückung, wenn die Leute wirklich Angst haben und nicht reden wollen. In China war es auch oft so, dass eine unglaubliche Disziplin herrschte: In den Zellen sitzen etwa 30 Personen, und ein Vorbeter, auch ein Häftling, liest aus der Strafprozessordnung vor, und alle beten das nach. Als ich hineinkam und mich vorstellte, wollte niemand mit mir reden. Nur ein Afrikaner mitten unter den Chinesen hat mit mir gesprochen. Er war ein Drogendealer, der seit drei Wochen dort festgehalten wurde und sprach kein Wort Chinesisch. Aber er musste genauso die chinesische Strafprozessordnung auswendig lernen.

Ich habe auch einmal eine bekannte Falun Gong-Anhängerin in China gesucht, sie war nicht leicht zu finden. Doch als ich sie schließlich in einem Umerziehungslager gefunden hatte, wollte sie nicht mit mir reden, sie hatte noch zwei Jahre Gefängnis vor sich. Nur mit mir zu sprechen gefährdet also viele Menschen dort. Ich war schon sehr erschüttert, weil ich von ihr selbst erfahren wollte, wie es ihr geht. Aber ich würde nie Druck ausüben.

dpa-Deomonstranten mit Plakaten fordern in Berlin vor der Chinesischen Botschaft die Einhaltung der Menschenrechte in China.

ZDFonline: In China können Menschen willkürlich festgehalten werden. Hat sich da etwas verändert?

Nowak: Nein, in Umerziehungslagern können Leute bis zu drei Jahren, in manchen Fällen bis zu vier Jahren festgehalten werden, ohne je vor ein Gericht gekommen zu sein. Leute, die "sozial schädlich" sind wie
zum Beispiel Prostituierte, werden dort festgehalten. Das ist natürlich eine große Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen. In Deutschland hat man zum Beispiel das Recht binnen 24 Stunden vor ein Gericht zu kommen. Dieses entscheidet, ob man weiter in Haft bleibt oder freigelassen wird. Das ist in China anders.

ZDFonline: Haben Sie Angst vor bestimmten Situationen oder Menschen?

Nowak: Man kann nicht emotional auf Distanz gehen. Aber andererseits muss man auch noch eine professionelle Arbeit machen, Interviews führen. Es sind Extremsituationen. Man ist alleine mit einem Mitarbeiter, und da sind natürlich viele gefährliche Kriminelle eingesperrt. Trotzdem habe ich noch nie wirklich Angst vor den Häftlingen gehabt, eher vor den Polizisten.

Alle Artikel, Grafiken und Inhalte, die auf Yuanming.de veröffentlicht werden, sind urheberrechtlich geschützt. Deren nicht-kommerzielle Verwendung ist erlaubt, wenn auf den Titel sowie den Link zum Originalartikel verwiesen wird.

Das Neueste

Archiv