Basler Zeitung (CH): 66 Millionen KP-Mitglieder ohne Stimme

Peking. Unter starken Sicherheitsvorkehrungen ist heute in Peking der 16. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas eröffnet worden. Die über 2000 Delegierten werden den Rechenschaftsbericht von Generalsekretär Jiang Zemin absegnen sowie Änderungen des Statuts beschliessen. Dabei wird erwartet, dass Jiangs Theorie von den «drei Vertretungen» aufgenommen wird, welche die Partei künftig nicht nur für Arbeiter und Bauern, sondern auch für die «fortschrittlichsten Produktivkräfte» – die wachsende Zahl von Privatunternehmern – öffnen soll. Der Kongress, der bis kommenden Donnerstag dauert, wird in seiner Schlussphase auch wichtige personelle Veränderungen in der Führung bestätigen, die unter strenger Geheimhaltung bereits von der letzten ZK-Sitzung angenommen wurden.

Hu Jintao statt Jiang Zemin
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen dabei weniger die Neuwahl der rund 320 Vollmitglieder und Kandidaten des neuen Zentralkomitees durch die Delegierten als vielmehr die Umbesetzungen in den eigentlichen Machtorganen – im etwa 20-köpfi gen Politbüro und im siebenköpfigen Ständigen Ausschuss. Über diese wird die erste Plenarsitzung des neuen ZK unmittelbar nach dem Abschluss des Parteitags befinden. Die 66 Millionen Parteimitglieder haben keinen Einfluss auf die Veränderungen im Machtzentrum.
Offiziell ist bisher nicht bekannt, wer aufrückt. Mit Sicherheit aber wird der derzeitige Generalsekretär Jiang Zemin (76) nach einer Amtszeit von 13 Jahren zurücktreten und bei der Neuwahl des Nationalen Volkskongresses (NVK) im März kommenden Jahres auch das Amt des Staatspräsidenten niederlegen. Nachfolger in beiden Ämtern wird Hu Jintao (59), gegenwärtig Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros und stellvertretender Staatspräsident. In Peking wird indessen davon ausgegangen, dass Jiang weiterhin an der Spitze der einflussreichen Zentralen Militärkommission der Partei bleibt und damit auch künftig wichtige Entscheidungen in der Führung beeinflusst.

Zahlreiche Veränderungen wird es im Politbüro geben. Sein Ständiger Ausschuss, der innere Führungskern, wird fast völlig neu besetzt. Bis auf die Öffnung der Partei für Privatunternehmer werden aber keine grundlegenden politischen Wandlungen erwartet. Obwohl sie den kommunistischen Führungsanspruch nicht aufgeben werden, sind viele Mitglieder der neuen Führungsriege gut ausgebildet, gelten als pragmatisch und könnten sich mittelfristig aufgeschlossener gegenüber politischen Reformen zeigen.

Störungen ausgeschlossen
In Peking sind während des Parteitags ausserordentliche Sicherheitsvorkehrungen in Kraft getreten. Die Führung will damit möglichen Terroranschlägen vorbeugen. Arbeiterproteste gegen Entlassungen und Lohnrückstände sowie Aktionen von Dissidenten, die eine Neubewertung des Studentenmassakers vom Frühjahr 1989 und die Freilassung der politischen Gefangenen fordern, sollen ebenso ausgeschlossen werden wie Aktionen der Falun-Gong-Bewegung.
Wie bekannt wurde, sind vor dem Kongress einige Dissidenten in Polizeigewahrsam genommen und andere unter strenge Bewachung gestellt worden. In einem offenen Brief hat Lin Mu, der frühere Sekretär des 1987 geschassten Parteichefs Hu Yaobang, die Delegierten aufgefordert, die militärisch niedergeschlagene Demokratiebewegung von 1989 neu zu bewerten und den damals gestürzten KP-Chef Zhao Ziyang zu rehabilitieren. Eine Gruppe von Arbeitslosen aus der Nordostprovinz Liaoning hat angekündigt, während des Parteitags gegen die Entlassungen und für höhere Entschädigungen zu demonstrieren. Im Zuge einer Kampagne gegen die Kriminalität hat sich vor dem Parteitag wie stets zu derartigen Anlässen die Zahl der Hinrichtungen erhöht. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International meldete, dass letzte Woche allein an zwei Tagen 46 Kriminelle exekutiert wurden, die meisten wegen Mordes, Vergewaltigung und anderer Gewaltverbrechen. Otto Mann

BAZ 8.11.2002

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