Die Wahrheit kommt (fast) immer ans Licht

Familiengeheimnisse lassen sich nicht wegdrücken und bahnen sich ihren Weg an die Oberfläche, wenn sie nicht angesprochen werden.

Als Herr Zhao ein Jahr verheiratet war, kam seine Mutter auf Besuch. Als sie zu Tisch waren, verschaffte sich ein unbekannter Mann Zutritt zur Wohnung. Nicht nur, dass er alles Wertvolle zusammenraffte, nein, er erschlug Herrn Zhao auch noch und entführte seine Braut.

Die Mutter von Herrn Zhao war von dem brutalen Überfall eine Zeit lang in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Sie blieb dort und lebte alleine in dem Haus. Zwanzig Jahre zogen ins Land und es kam nie heraus, wer den Überfall begangen hatte.

So geschah es, dass im 21. Jahr ein junger Gelehrter in die Stadt kam, um die Beamtenprüfung abzulegen. Er kam sehr spät am Abend an und erkundigte sich, wo er übernachten könnte. Ein Passant sagte zu ihm: „Die Herberge ist zu weit weg, klopf doch bei Frau Zhao an, sie hat sicherlich ein Bett für dich.“

„Ein langes Leben für deine Eltern“ ist die Aussage dieses Werkes: Crabapple, China rose, and Indian flycatcher von Shen Quan (Chinese, 1682–after 1762), Credit Line: The Harry G. C. Packard Collection of Asian Art, Gift of Harry G. C. Packard, and Purchase, Fletcher, Rogers, Harris Brisbane Dick, and Louis V. Bell Funds, Joseph Pulitzer Bequest, and The Annenberg Fund Inc. Gift, 1975, Metropolitan Museum New York

Der junge Mann, der Maoqing hieß, machte sich also auf den Weg zum Haus der alten Frau Zhao. Als er klopfte und nach einer Übernachtungsgelegenheit fragte, bat sie ihn freundlich herein. Sie dachte: „Der Junge sieht aus, wie mein verstorbener Sohn.“ Und während sie das Bett herrichtete, liefen ihr die Tränen über die Wangen.

Am Morgen bereitete sie dem Fremden ein herzhaftes Frühstück zu und steckte ihm auch etwas Geld zu. Sie bat ihn mehrmals, dass er nach der Prüfung noch einmal bei ihr vorbeikommen solle. Maoqing absolvierte die Prüfung und erhielt auch sogleich einen Posten in der Provinz zugewiesen. Auf seinem Rückweg klopfte er wieder an der Türe der alten Frau Zhao. Er hatte ihr einige Meter Stoff mitgebracht als Dankeschön für die nette Beherbergung.

Frau Zhao’s Gesicht wurde heiter, als sie ihn im Türrahmen stehend erblickte. Wie zugesagt blieb er noch einige Tage bei ihr und die beiden verstanden sich sehr gut. Einmal fiel sein Blick auf ein Gemälde und er fragte Frau Zhao, wer derjenige auf dem Bild sei. „Das ist mein Sohn, der von einem Banditen getötet wurde, als er erst 19 Jahre alt war. Seine Frau wurde bei dem Überfall entführt“, berichtete Frau Zhao und brach in Tränen aus.

Maoqing wollte den Namen und das Alter der Schwiegertochter wissen. Als Frau Zhao das Aussehen ihrer Schwiegertochter beschrieb, musste er unwillkürlich an seine Mutter denken. Als Frau Zhao erwähnte, dass sie bei der Entführung im fünften Monat schwanger gewesen war, zuckte er zusammen.

Am nächsten Tag trat er die Rückreise an. Als er heimkam, waren seine Eltern sehr glücklich darüber, dass er die Prüfung bestanden hatte und bereits eine Stellung zugewiesen bekommen hatte. Alle Verwandten kamen zu einer Feier vorbei und ließen ihn hochleben.

Einige Tage später, in einem ruhigen Moment, erzählte er seiner Mutter, was er bei Frau Zhao erlebt hatte. Er hatte erst begonnen mit seinem Bericht, als die Mutter ihre Hand auf seinen Mund legte und eindringlich flüsterte: „Stopp! Sag kein weiteres Wort. Wenn dein Vater davon erfährt, geraten wir in Gefahr. Er hat schon viele Menschen getötet!“

Als er dies hörte, erschrak er und machte große Augen. Nun war es klar. Den Mann, den er für seinen Vater gehalten hatte, war gar nicht sein Vater, sondern der Räuber, der damals seinen leiblichen Vater erschlug und seine Mutter entführt hatte.

Als er zwei Wochen später seinen Posten in der Provinz antrat, wurde er dem dortigen Gouverneur vorgestellt. Da es ihn stark belastete, öffnete er sein Herz und erzählte dem Gouverneur sein Schicksal. Der Gouverneur wollte dem jungen Mann helfen. Er richtete ein Bankett zu seinem Einstand aus und lud seinen „Vater“ dazu mit ein. Als dieser eintraf, ließ er ihn sofort verhaften und einkerkern. Später wurde er hingerichtet. Der Gouverneur veranlasste, dass Maoqing nicht mehr Ye, sondern wieder Zhao zum Nachnamen hieß.

Maoqing ließ seine Mutter und die alte Frau Zhao nachkommen. Gemeinsam lebten sie in einem Haus und waren endlich wiedervereint.

Quelle für diese Geschichte: „Retribution After 20 Years“, Seite 144 aus dem Buch „Treasured Tales of China Vol. 3, Classical Poets Publishing, Mount Hope New York, 2020

Alle Artikel, Grafiken und Inhalte, die auf Yuanming.de veröffentlicht werden, sind urheberrechtlich geschützt. Deren nicht-kommerzielle Verwendung ist erlaubt, wenn auf den Titel sowie den Link zum Originalartikel verwiesen wird.

Das Neueste

Archiv