Gutes wird mit Gutem vergolten, Schlechtes mit Schlechtem: Die Geschichte von Long Heng und dem Taoisten
Die acht am Flussufer versammelten Figuren stellen die Acht Unsterblichen dar, eine Gruppe taoistischer Gottheiten, die aus den Legenden der Tang-Dynastie (618-907) stammen. Sie können jeweils anhand ihrer persönlichen Attribute identifiziert werden, darunter Flöte, Stab, Schwert, Blume und Kürbis. Hier warten sie auf die Ankunft von Shoulao, dem Gott der Langlebigkeit, der auf dem Rücken eines Kranichs über die Wellen fliegt. Der Daoismus gewann im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert zunehmend an Popularität, ebenso wie seine Bildsprache. Dieses exquisit verzierte Tablett ist ein bemerkenswertes Beispiel. Bildquelle: Metropolitan Museum New York
Es war einmal ein vermögender Mann namens Long Heng. Er war von seinem Naturell her ein freundlicher und fürsorglicher Mensch. Er betrieb ein Pfandleihhaus und war dafür bekannt, faire Preise zu zahlen und anderen in der Not zu helfen. Mit seiner Frau und ihm wohnten im Haus noch sein Sohn Long Quan und seine Tochter mit ihrem Ehemann Zilian Sun.
Der Bezirk in dem Long Heng lebte, war von einer Trockenheit betroffen. Eines Tages vernahm er die Nachricht, dass in zwei anderen Provinzen eine gute Reisernte eingefahren worden war. Also beschloss er, da der Preis durch die Menge des geernteten Reises sehr günstig war, in diese Provinzen zu fahren, um Reis im grossen Stil einzukaufen. Es würde sich lohnen, dachte er bei sich, denn bei der anhaltenden Dürre könnten die Nahrungsmittel knapp werden. Er würde den günstigen Preis an seine Kunden weitergeben können.
Er besprach sich mit seiner Frau, und sie war einverstanden mit seinem Vorhaben. Während seiner längeren Abwesenheit sollte sein Schwiegersohn, Zilian Sun, das Geschäft leiten. Zu Beginn machte er seine Arbeit gut. Doch nach einer Weile begann Sun darüber nachzudenken, wie er Geld ausgeben und das Leben genießen könne. Als dann die Vorahnung Long Hengs eintrat und die Lebensmittel knapp wurden, dachten Zilian Sun und seine Frau nicht daran, den Ärmsten zu helfen. Nein, sie horteten sogar Lebensmittel und Getränke. Sie dachten sich auch allerlei Tricks aus, wie sie die Notlage zu ihrem Vorteil ausnutzen konnten. Zum Beispiel kam ein Kunde ins Pfandleihaus, um einen Gegenstand mit einem Wert von 10 Tael Silber zu verpfänden. Sun gab demjenigen nur 10 Guan, eine lokale Münze mit etwas weniger Wert, als die 10 Tael Silber. So konnte er seinen Gewinn erhöhen.
Noch während Long Heng seine Einkäufe beendete vernahm er von anderen Reisenden, dass die Dürre in seinem Heimatort schlimmer und die Nahrungsmittel knapp geworden waren. Als er das hörte, beeilte er sich mit der Rückreise. Während er sich seinem Heimatdorf näherte, sah er, dass die Wiesen und Felder verdorrt waren. Er sah Menschen Graswurzeln und Baumrinde essen.
Als er in sein Haus eintrat, wollten seine Verwandten ihn mit einem leckeren Essen willkommen heissen. Doch Heng lehnte ab. Sofort hängte er einen Anschlag vor seinem Geschäft auf, worauf stand: Diejenigen, die noch Essen haben, zahlen 50% auf den ursprünglichen Einkaufspreis. Diejenigen, die nur noch wenig Essen haben, zahlen 30% auf den ursprünglichen Einkaufspreis. Diejenigen, mit fast keinen Vorräten, zahlen 20%, und die ganz Armen, die nichts mehr haben, bekommen das Pfund Reis kostenfrei.
Die Information, dass Long Heng Reis zu einem günstigen Preis verkaufte, machte schnell die Runde. Es dauerte nicht lange und der Innenhof war voller Leute, die Reis kaufen wollten. In wenigen Monaten verkaufte Heng einige tausende Pfund Reis, bis kein einziges Korn mehr übrig war. Dank dem, dass Heng viel hatte, konnte er viel geben. Seine weise Voraussicht rettete vielen Menschen in seinem Bezirk das Leben. Sein grosses Mitgefühl und sein gütiges Herz bewegten den Himmel. Dieser liess bald Regen niedergehen, um die Dürre zu lindern.
Ernten, was man gesät hat
Eine Zeit später packte Long Heng eine grössere Geldsumme in einen Beutel und machte sich zusammen mit seiner Frau auf den Weg in die Hauptstadt, um Einkäufe zu tätigen. Sie fuhren dafür mit ihrem Boot den Fluss entlang und machten am Hafen fest. Als die Sonne am Horizont hinter den Bergen zu sinken begann, beobachtete er folgende Szene: Ein Taoist, der einen ausgehöhlten Kürbis auf dem Rücken trug, in dem ein Feuer flackerte, stieß plötzlich mit seinem Schwert einen Mann, der eine Axt in der Hand hielt, ins Wasser. Drei Männer ergriffen daraufhin blitzartig die Flucht. Long Heng verstand sofort, dass diese Männer einen Überfall auf ihn und sein Boot geplant hatten und dass der Taoist diesen verhindert hatte. Er eilte vom Boot, um sich beim Taoisten zu bedanken.
Der Taoist sagte zu ihm: „Der tote Räuber im Wasser war dein Schwiegersohn Zilian. Er hatte vor, dein Geld zu stehlen. Da du ein gutes Herz hast, wollte ich dich vor dem Überfall bewahren.“ Long Heng bedankte sich noch einmal und wollte den Namen des Taoisten wissen. Doch dieser verriet ihn nicht. Stattdessen sagte er: „Wenn du beim Berg Tai vorbei kommst und einen Stein siehst, der wie eine Wolke aussieht, frag den Taoisten dort nach meinem Namen.“ Dann verschwand er.
Nachdem Long Heng seine Einkäufe getätigt hatte und sich zusammen mit seiner Frau auf der Rückfahrt befand, vertäuten sie am Fuße des Berges Tai ihr Boot und gingen zu Fuß weiter. Da sahen sie auf einem Felsen drei Zeichen eingraviert, die zusammen das Wort ´ein Stück Wolke` bildeten. Gerade wollte er nach dem Taoisten fragen, als eine Böe aufkam und ein Unsterblicher erschien. Es war der gleiche Mann, wie wenige Tage zuvor am Hafen. Der Taoist schwenkte seine Arme und zwei weisse Kraniche flogen aus den Ärmeln seines Gewandes heraus. Er gab je einen Long Heng und einen seiner Frau. Auf den Rücken der Vögel und umgeben von glücksverheissenden Wolken, flogen beide mit dem Taoisten in den Himmel hinauf und wurden zu Unsterblichen.
Ergänzung: In der chinesischen Symbolsprache gibt es viele Zeichen für Langlebigkeit. Der Kranich ist das Wichtigste. Weitere Symbole sind Pinie oder Zypresse, der Pilz (Lingzhi) oder der Pfirsich. Der Kürbis in Bildern repräsentiert die Heilkraft und Schutz gegen Krankheiten. Der Berg Tai ist einer der fünf heiligen Berge des Taoismus in China.
Was ist das Tao? Tao wird oft als ´der Weg` übersetzt. Das Tao wird als die Leere aufgefasst, aus der die gesamte Realität hervorgeht, die so groß ist, dass sie nicht mit Worten beschrieben werden kann. Jenseits von Zeit und Raum wurde es als die Struktur des Seins beschrieben, die dem Universum zugrunde liegt. Bezeichnenderweise hat der Taoismus kein höheres Wesen. Stattdessen gibt es das Tao selbst, das der Realität zugrunde liegt und sie durchdringt. Gleichzeitig hat der religiöse Taoismus paradoxerweise viele Götter hervorgebracht. Diese Vision einer universellen Ordnung gab dem Leben der Menschen im traditionellen China Struktur. Alle Naturphänomene wurden im Sinne von Yin und Yang verstanden.
Vom taoistischen Standpunkt aus gesehen bestehen alle Dinge aus Qi. Materie und Energie sind also austauschbar. Der Taoismus lehrt, dass man, um als Mensch zufrieden zu sein, akzeptieren muss, dass Veränderung und Transformation die absolute Realität sind und dass alle Dinge und Transformationen im Tao vereint sind. Das Konzept des Qi (Lebensenergie oder Atem des Universums) zum Beispiel, steht im Mittelpunkt der traditionellen chinesischen Medizin, die Krankheit als Folge von Ungleichgewichten betrachtet, die zu Blockaden führen.
Ein grundlegendes kosmisches Prinzip des alten chinesischen Denkens und eines, das vom religiösen Taoismus übernommen wurde, ist, dass alle Dinge einander entsprechen. Der Mikrokosmos spiegelt den Makrokosmos wider und umgekehrt. Man glaubte, dass die Struktur des menschlichen Körpers sowohl die Struktur der natürlichen Landschaft, als auch die Struktur des Universums widerspiegelt. Im religiösen Taoismus wird der menschliche Körper als eine Landschaft visualisiert. Seine verschiedenen Teile werden von Gottheiten bevölkert, die Göttern entsprechen, die im Himmel oben wohnen. Das Konzept der göttlichen Korrespondenz erscheint im gesamten religiösen Taoismus und ist eine von vielen Ideen, die im Laufe seiner Entwicklung konstant geblieben sind.
Die Fünf Elemente entsprechen den fünf Richtungen und den fünf heiligen Gipfeln und fünf Planeten. Die Korrespondenz zwischen den Teilen des menschlichen Körpers und den Strukturen der natürlichen Welt, bildet die intellektuelle Grundlage der traditionellen chinesischen Physiognomie. Ein weiteres Prinzip, das aus der frühen taoistischen Philosophie hervorging, war die Bedeutung der Kultivierung von Tugend (De) und des Lebens, im Gleichgewicht mit der natürlichen Welt. Diese Ideen zusammen mit der Wichtigkeit, immer auf das Tao eingestimmt zu sein, werden zuerst im dao de jing (Auch „Tao Te King“ geschrieben), dem klassischen Text, der dem Weisen Laozi (Lao-Tse) zugeschrieben wird, artikuliert.
An das Tao, wie von Laozi (Lao-Tse) geschrieben:
„Es gibt etwas, das in seiner Unordnung vollkommen ist, das vor Himmel und Erde geboren wurde. Es steht allein und verändert sich nicht. Es dreht sich ewig ohne Erschöpfung. Es wird als die Mutter aller Wesen angesehen. Ich kenne seinen Namen nicht, außer dass ich es Tao nenne.“
Laozi (Lao-Tse)
Quellen für diesen Bericht:
Treasured Tales of China Vol 1, Middle Kingdom Publishing Mount Hope, New York, Seite 41
Chinese Art, A Gide to Motifs and visual Imagery von Patricia Bjaaland Welch, Tuttle Verlag
Taoism and the Arts of China, Stephen Little, The Art Institute of Chicago, 2000