Frankfurter Rundschau: Chinesische Wahrheiten

Als der ARD-Korrespondent Stefan Niemann am Dienstag über die Protestaktion von Falun-Gong-Anhängern auf dem Platz des Himmlischen Friedens berichten wollte, endete sein Arbeitstag auf der Polizeistation. Zusammen mit der Journalistin Jutta Lietsch, die für die Leipziger Volkszeitung schreibt, und einem CNN-Kameramann war er von der Polizei festgehalten worden. Niemann hatte eine kleine Handkamera dabei. Lietsch stand ein paar Meter zu nahe am Geschehen. Für Pekings Führung ist das Vergehen genug: Die beiden Journalisten wurden zwei Stunden in Polizeigewahrsam genommen, dann offiziell ins Außenministerium zitiert. Sie hätten „chinesische Gesetze“ gebrochen und müssten „mit ernsthaften Konsequenzen“ rechnen, erklärten Pekings Beamte.

Niemann und Lietsch haben nur ihre Arbeit gemacht, und die ist in der Volksrepublik China manchmal etwas komplizierter. Mehrere Dutzend ausländische Reporter waren am Dienstag auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Über Telefon und Internet hatten sie verschlüsselte Nachrichten von Falun-Gong-Anhängern erhalten, dass an diesem Nachmittag „etwas Wichtiges“ auf dem Platz passieren würde. Da Pekings Zensurgesetze die Anmeldung jeder Recherche verlangen, versammelte sich die Weltpresse als Touristen getarnt. Ein deutscher Reporter fotografierte scheinbar arglos seine posierende Freundin und stellte dabei den Zoom auf die Falun-Gong-Gruppe scharf. Radiokorrespondenten hatten sich winzige Mikrophone an den Kragen geheftet, mit denen sie die Protestrufe dokumentierten. Ein Australier filmte mit einer Miniaturkamera aus der Hüfte, wie ein Zivilpolizist einem Anhänger in den Bauch sprang. Als die Demonstranten nach wenigen Minuten abtransportiert wurden, schlenderten die Journalisten zu den Ausgängen.

Für Reporter in China sind solche Arbeitsbedingungen normal. Trotz der wirtschaftlichen Öffnung hat sich an den Zensurgesetzen bis heute nichts geändert. Laut dem „Handbuch für ausländische Journalisten“ muss jedes Interview bei den Ausländerbehörden angemeldet werden. Auf Reisen im Land, die ebenfalls nur mit Genehmigung möglich sind, werden Journalisten von Aufpassern begleitet, für die sie bezahlen müssen. Seit einigen Jahren werden manche Regeln lockerer ausgelegt. Bei sensiblen Themen wie Falun Gong, die Peking als „teuflischen Kult“ abstempelt, bekommen die Journalisten jedoch die Staatsmacht zu spüren.

Niemann und Lietsch wurden am Dienstag mit den Demonstranten auf die Polizeistation gefahren. Dort erwarteten die Journalisten bekannte Gesichter. Die gleichen Beamten, die halbjährlich über die Verlängerung der Journalistenvisa entscheiden, führten das Verhör durch. Der Umgangston war freundlich, aber bestimmt: Lietsch und Niemann hätten „illegale Recherchen“ gemacht, da sie ohne Anmeldung gearbeitet hätten, erklärten die Beamten. Als Lietsch anmerkte, dass sie weder Interviews noch Fotos gemacht habe, die sie hätte anmelden können, antwortete der Polizist: „Allein schon wenn Sie hinschauen, brechen Sie das Gesetz.“ ARD-Korrespondent Niemann, der mit einer Handkamera auf dem Platz gefilmt hatte, wurde am Mittwoch zusammen mit dem Presseattaché der deutschen Botschaft ins Außenministerium zitiert. Er sei ein „Unruhestifter“, erklärte Sprecherin Zhang Qiyue und sprach von „einer Verschwörung“ westlicher Medien mit der Falun-Gong-Bewegung. Offensichtlich sitzen die Verschwörer bereits in Chinas staatliche Propaganda-Medien. Die amtliche China Daily berichtete am Mittwoch auf der ersten Seite über die Festnahmen der Falun-Gong-Leute. Ob die Kollegen vorher eine Genehmigung eingeholt haben?

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Dokument erstellt am 21.11.2001 um 21:30:39 Uhr
Erscheinungsdatum 22.11.2001

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