Der letzte Rat eines Kanzlers

Zichan, der Kanzler im Staate Zheng, war schwer erkrankt. Auf dem Sterbebett liegend gab er seinem Nachfolger, dem Minister You Ji, einen wichtigen Rat.

„Du wirst gewiss nach meinem Tod die Regierungsgeschäfte im Land übernehmen. Ich empfehle dir, ein strenges Regime zu führen. Höre dazu einen Vergleich: Das Feuer sieht mörderisch aus, daher verbrennen sich nur selten Menschen daran; das Wasser dagegen sieht schwach aus, deshalb sind schon viele Menschen darin ertrunken. Du musst also unnachsichtig auf die Einhaltung des Gesetzes bestehen, sonst wird zu leicht und zu oft dagegen verstossen.“

Minister You Ji wurde kurze Zeit nach dem Ableben Zichans Kanzler, mochte jedoch kein strenges Regime führen. So geschah es, dass sich viele junge Leute im nahegelegenen Moor zusammenrotteten. Hier konnten sie sich gut verstecken. Sie begannen die Ortschaften der Umgebung heimzusuchen und zu plündern. Diese Plünderungen nahmen an Häufigkeit und Umfang zu und wurden zu einer ernsten Bedrohung. 

Des Morgens bestrafe ich einige; am Abend begehen Andere dasselbe Verbrechen. (…) Je härter die Strafe, desto mehr Übertretungen. Tag und Nacht muss ich wachsam bleiben. Aus dieser Lage gibt es keine Hilfe. Verhänge ich milde Strafen, werden diese Personen noch schlimmere Verbrechen begehen. Wie sollen da die Menschen außerhalb der Regierung ein friedliches Leben führen? Was für eine schwierige Situation! Bestrafe ich diese Personen, so hält man mich für einen Tyrannen. Erweise ich ihnen Milde, so verliert das Gesetz seine Wirkung, die Ordnung zerfällt, und das Volk hält mich für einen unfähigen Kaiser.“ 

-Gedanken/Zitat des Kaisers Zhu Yuanzhang, Gründer der Ming-Dynastie

Sollte also wieder Ruhe und Frieden hergestellt werden, blieb You Ji als Ausweg nur, sich an die Spitze einer Soldatengruppe zu stellen und die Plünderer niederzukämpfen. Es dauerte einen Tag und eine Nacht bis die Diebesbande bezwungen war. You Ji stiess einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus und erinnerte sich: „Hätte ich doch nur früher den Rat Zichans befolgt, so müsste ich heute nicht solch tief empfundene Reue in meinem Herzen fühlen.“

Quelle: Han Fei Zi (280-233 v Chr.)Aus dem Buch von Klaus Lochmann und Ran Zhang: Einhundert chinesische Kurzgeschichten, BOD – Books on demand, Norderstedt, 2017 Zitat des Kaisers hier.

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