Li Gonglin und die „Work-Life-Balance“

Oder: wie man die gegensätzlichen Ideale von aktivem Engagement im Staatsdienst und kontemplativem Rückzug miteinander in Einklang bringen kann.

Li Gonglin (1049-1106) war einer der Gelehrten der Nördlichen Song-Dynastie (960-1127), der am meisten gepriesenen wurde für sein kunsthistorisches Wissen und die Entwicklung seines eigenen Literati-Malstils.

Obwohl er in eine Familie konfuzianischer Gelehrte hineingeboren wurde und den höchsten akademischen Grad der Beamtenprüfung erwarb, wog er seine akademischen und privaten Leidenschaften nach eigenem Gutdünken gegeneinander ab. Gonglin kam in seiner privaten Karriere weiter als in seiner beruflichen, sehr zur Verwunderung einiger Berufskollegen.

Schwierige Entscheidung: Was will ich lieber? Parteipolitisches Gekungel oder die herrliche Ruhe in den Bergen?

Üblicherweise begannen erfolgreiche Absolventen der höheren Beamtenprüfungen ihnen Staatsdienst unmittelbar danach. Nicht so Gonglin. Er verschob seine Beamtenlaufbahn um beinahe 10 Jahre.

Biografen sind der Meinung, dass er die damals stattfindenden Kämpfe innerhalb der Bürokratie zu vermeiden suchte, die bis in die frühen 1070er Jahre andauerten. Der Reformpolitiker Wang Anshi (1021 bis 1086) spaltete die Beamtenschaft in Befürworter und Gegner seiner Ideen. Reformer und Konservative lieferten sich heftige Auseinandersetzungen. Sogar Gonglins Vater blieb davon nicht verschont. Nachdem er in einem Essay seine Meinung zu gewissen Reformen veröffentlicht hatte, wurde er seines Postens verwiesen.

Gonglin oder „Longmian Jushi“ (Einsiedler vom Berg des schlafenden Drachen), wie er fortan auch genannt wurde, bevorzugte es, sich in den nahen Bergen zurückzuziehen und einem Einsiedlerleben zu frönen. Einige der jüngeren Familienmitglieder schlossen sich ihm an. Er erwarb ein großes Stück Land und begann sich dort einzurichten.

Eine Villa in den Bergen

Das Leben in der Einsamkeit war erfüllt mit vielerlei Tätigkeiten. Li Gonglin und seine Verwandten betätigten sich als Landschaftsgärtner und legten Pfade und Teiche an, bauten Hütten, Brücken und Aussichtsplattformen. Während des Tages sammelten sie Kräuter, empfingen Besuch, tranken Wein oder Tee, widmeten sich dem Studium und organisierten Freiluftvorlesungen.

Grosses Bild: Li Gongli: Dwelling in the Longmian („Sleeping Dragon“) Mountains „The Lung-mien Mountain Villa“, Credit Line Andrew R. and Martha Holden Jennings Fund, Rights © Artists Rights Society (ARS), New York Image: Copyright The Cleveland Museum of Art Die kleinen Bilder: Li Gonglin, Mountain Villa, copy in the National Palace Museum, Taipei Taiwan

Während der politisch turbulenten Jahre pflegte Gonglin Kontakte zu Gelehrten beider Fraktionen. Als Wang Anshi zurücktrat und sich in Nanking niederließ, begann sich die Situation zu beruhigen. In den kommenden Jahren wurden die meisten Reformen von der erstarkten konservativen Seite rückgängig gemacht.

Als Gonglin schließlich um 1079 seine akademische Laufbahn startete, bekleidete er zuerst zwei Ämter in der Provinz, bevor er in die Hauptstadt Bianjing, heute Kaifeng, berufen wurde. Dort übernahm er einen Posten in der Sekretariatskanzlei. In der Hauptstadt angekommen, erweiterte er seinen Freundeskreis unter den Gelehrten. Sie wurden zu seinen Weggefährten und Hauptauftraggeber für seine Werke. Der Poet und Kalligraf Huang Tingjian soll sein bester Freund gewesen sein. Gonglin liebte es in seiner Freizeit, die Gärten und Aussichtspunkte der Stadt zu besichtigen.

Wie Tag und Nacht: die Malstile der Akademie und der Gelehrten

In der frühen Song-Zeit wandelte sich die Gesellschaft dahingehend, dass nicht länger die Adelsgeschlechter regierten, sondern eine zentrale Bürokratie aus Gelehrten. Die amtierenden Beamten waren nun nicht mehr aufgrund der Familienzugehörigkeit, sondern aufgrund der bestandenen Beamtenprüfung im Staatsdienst. Als herrschende Elite betrachteten diese neokonfuzianischen Gelehrten den öffentlichen Dienst daher mehrheitlich als ihre Hauptberufung.

Der typische Song-Malstil der kaiserlichen Malakademie

Zur selben Zeit strebte die kaiserliche Malakademie danach, einen offiziellen akademischen Song-Malstil zu entwickeln. Er sollte idealerweise die physische Welt naturalistisch und detailgenau beschreibend wiedergeben.

Um dies zu erreichen, rekrutierte die Malakademie Künstler aus dem ganzen Land, um die verschiedenen Mal-Traditionen zu erfassen und um aus der Summe dieser einen akademischen Stil herauszukristallisieren.

Das Bild auf der linken Seite ist im Stil der Akademie gemalt. Es heißt „Pfau und Hibiskus“ von Bian Lu.

Peahen and hibiscus, Bian Lu (Chinese, active mid-14th century), Credit Line: Purchase, The Dillon Fund and The B. Y. Lam Foundation Gifts, 1995, Metropolitan Museum of Art New York
Die Pose des Vogels, der dramatisch auf einem Bein balanciert, während er sich auf einen weiteren Schritt vorbereitet, könnte sich auf eine berühmte Anekdote über den Song-Kaiser Huizong (1082 – 1135) beziehen, der seine Hofmaler tadelte, weil sie nicht beachtet hatten, dass der Pfau beim Klettern immer den ersten Schritt mit dem linken Bein macht.

Die Bestrebungen der Malakademie führten dazu, dass es zwei Lager von Künstlern gab. Einerseits die professionellen (von der Akademie ausgebildeten) Maler, die für den Staat arbeiteten und mit ihren Werken Bekanntheit und Ehre erlangen konnten. Dem gegenübergestellt waren die „Amateur-Maler“, die Gelehrten, die für ihr privates Vergnügen und nicht für den Staat malen wollten. Auch behielten sie die spontanen Qualitäten archaischer Modelle bei.

Gonglin zum Beispiel nahm nur Aufträge von seinen Literati-Kollegen an. Für Männer mit Geld und Macht oder für die professionellen Maler der Akademie verweigerte er sich. Unter den Gelehrten damals fungierten Bilder auch als eine Art Freundschaftswährung. So wie früher die Poesie als eine Art private Sprache diente, die nur für einen hochgebildeten Menschen verständlich und interpretierbar waren.

An die Gelehrtenmalerei stellte Gonglin drei Anforderungen: Sie sollte eine moralische Absicht haben, stilistische Bezüge zur Vergangenheit herstellen können und eine ausdrucksstarke kalligrafische Pinselführung aufweisen.

Gonglin malte hauptsächlich Figuren, Pferde, Landschaften und religiöse Motive. Er liebte die geometrischen Darstellungsformen landschaftlicher Szenerien und „erfand“ die Methode der weißen Tuschezeichnung mit Hakenlinien.

Ausschnitt eines Originalbildes von Li Gonglin zur Verdeutlichung seines Malstils. Das Bild erzählt von der Begegnung zwischen uigurischen Stämmen und der unterlegenen Tang-Armee um 765 n. Chr. im Kampf um die Stadt Jingyang. Als die Uiguren seinen Namen hörten und ihn treffen wollten, legte General Zi Yi seine Rüstung ab und führte Dutzende von Reitern direkt auf das gegnerische Schlachtfeld, um den Anführer der uigurischen Armee zu treffen. Die uigurische Armee war von seiner Loyalität und Tapferkeit so beeindruckt, dass sie von ihren Pferden abstiegen und ihm huldigten.

Rückkehr zum schlafenden Drachenberg

Zwischen 1086 und 1094 lebte Gonglin im Ostteil der Stadt nahe der Regenbogenbrücke. Kaifeng erlebte im 11. Jahrhundert seine absolute Blütezeit. Dank der Wasserstraßen (Kanälen) wurde Kaifeng damals zu einem wichtigen kommerziellen Zentrum, einer Metropolis mit mehr als einer Million Einwohnern. Die Gelehrtenmalerei und Gonglin selbst erlebten ihre produktivste Phase. Inzwischen war er als Rechtsforscher in der kaiserlichen Zensurbehörde tätig. Sein profundes Wissen über Antiquitäten und Artefakte erlaubten es ihm, Fundstücke und Gegenstände zu analysieren und zu bestimmen. Für diese Fähigkeit wurde er von anderen Gelehrten sehr bewundert.

Für viele Berufskollegen war es angesichts seiner offensichtlichen Fähigkeiten unverständlich, dass Gonglin nicht mehr Ehrgeiz an den Tag legen wollte, um eine hohe Position im Staatsdienst zu erreichen. Tatsächlich hatte Gonglin seine Liebe zur Natur während der Jahre im Beamtendienst nie abgelegt. Sein Freund Huang Tanjian fühlte sich manches Mal veranlasst, ihn zu verteidigen. Er soll gesagt haben, dass Gonglin eben eher ein Mann „der Hügel und Täler“ sei und nie die Sehnsucht verspürt hätte, zu Ruhm und Ehre zu gelangen.

1097 verließ Gonglin die Stadt, um eine letzte Stelle in der Provinz als administrativen Supervisor zu übernehmen. Als er ab 1100 seinen Arm und die rechte Hand kaum noch bewegen konnte, ließ er sich freistellen und kehrte nach Hause und in die Berge zurück. Sein Arm hatte ihm schon seit mehreren Jahren zu schaffen gemacht, jedoch war es ihm jeweils gelungen, mit Bettruhe die Beweglichkeit wiederherzustellen.

Es ist überliefert, dass er, wenn er im Bett lag, es nicht lassen konnte und mit seiner Hand über das Bettlaken fuhr, als würde er malen. Wenn seine Familie (Gonglin hatte eine Frau und zwei Kinder) ihn ermahnte, er solle den Arm ausruhen, lachte er und meinte, es sei eine Angewohnheit, die er nicht lassen könne. Über seine letzten Lebensjahre ist wenig bekannt. Er starb im Jahre 1106.

Quellen für diesen Bericht:
Biografie zu Li Gonglin Seite 31 bis 52
Abriss über die nördliche Song-Dynastie Englisch
Aussagen zum Bild „Mountain Villa“
Yuanming.de:
Maler Zhang Zeduan
Reformer Wang Anshi

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