Selbstüberprüfung: Bin ich ein wahrer Kultivierender?

Die Arbeit an sich selbst ist gar nicht so einfach. Wie kann überprüft werden, ob man sich wirklich verändert oder nur meint, dies zu tun? Ein Hinweis liefert nachfolgende Geschichte von Liangchen, der an diesem Punkt nicht weiter kommt. Da er wahrhaftig sucht, hilft ihm der Himmel mit einem Gesandten.

Die Geschichte ereignete sich in der Ming-Dynastie. Ein Mann namens Yu Liangchen und weitere Weggefährten, lebten in einer Gemeinschaft, in der es den Mitgliedern nicht erlaubt war, Prostituierte zu besuchen, zu fluchen oder hinter dem Rücken anderer Leute zu lästern. Man wollte anderen Menschen helfen und sich auf das „Gute-Taten-tun“ fokussieren. Gute Taten würden schließlich mit gutem vergolten, so die Prämisse.

Trotz dieser Bestrebungen wurde Liangchen vom Unglück heimgesucht: Er versuchte bereits das siebte Mal, die Beamtenprüfung zu bestehen. Seine Frau gebar neun Kinder und nur eines blieb am Leben. Der Junge hatte zwei Muttermale am linken Fuß, war sehr intelligent und ihr ganzer Stolz. Doch als 6-jähriger verschwand er plötzlich, während er draußen spielte. Frau Yu war über den Verlust ihrer Kinder sehr traurig und weinte so viel, dass sie erblindete. Liangchen konnte sich sein Unglück nicht erklären, er konnte sich an keine Verfehlung erinnern.

Als sich das Jahr dem Ende zuneigte, klopfte es an die Tür. Draußen stand ein fremder alter Mann mit schlohweißen Haaren. Er trug einen dicken Schal um seinen Hals. Liangchen bat den Mann hinein und dieser entschuldigte sich: „Ich komme von weit her, mein Name ist Zhang. Ich komme, weil ich weiß, dass es ihnen nicht gut geht.“

Liangchen bemerkte, dass der Mann eine besondere Robe trug und kein gewöhnlicher Mann von der Straße war. Er behandelte ihn sehr respektvoll. Dem Fremden öffnete er sein Herz: „Ich studiere fleißig, habe mein ganzes Leben lang gute Taten getan und habe doch ein schreckliches Leben. Ich bestehe die Prüfung nicht, meine Kinder starben und wir leben in Armut.“ Der Fremde antwortete: „Du hast viele üble Gedanken; du strebst nach Ruhm und beschwerst dich zu viel.“

Darauf reagierte Liangchen erstaunt und rief aus: „Ich weiß, dass die guten und schlechten Taten der Menschen von den Gottheiten minutiös dokumentiert werden. Ich schwor für andere da zu sein und Gutes zu tun. Ich habe mein Verhalten jederzeit kontrolliert. Wie kommt es, dass ich nach Ruhm strebe?“

„Du sagst, dass du nicht tötest, aber in eurer Küche tötet und kocht ihr täglich Tiere. Du sagst, dass du deinen Mund kultivierst, aber du sprichst mit Sarkasmus, was viele Gottheiten ärgert. Du gehst nicht zu Prostituierten, aber dein Herz bewegt sich jedes Mal, wenn du eine schöne Frau siehst.


Schlimmer noch, du sagst, dass du dich anschickst viele gute Taten zu tun, nur: Der Jadekaiser hat dein Buch überprüfen lassen, da ist seit Jahren kein einziger Eintrag erfolgt. Im Gegenteil – deine Gedanken sind erfüllt von Gier, Lust und Neid– du erhöhst dich, indem du andere herabsetzt und bemitleidest. Sobald du an die Vergangenheit denkst, wirst du von Rachegedanken erfüllt.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Was denkst du, wirst du mit diesen bösartigen Gedanken Segen erhalten, wenn du um Segen bittest?“

„Meister, du weißt alles über mich, du musst ein Unsterblicher sein! Bitte errette mich!“ Liangchen hatte die Nachricht des Fremden tief getroffen und aufgerüttelt. Der Fremde wiederholte: „Ich hoffe, dass du nicht länger nach Ruhm und Eigeninteressen strebst und deine schlechten Gedanken beseitigst. Wenn du das schaffen kannst, wirst du mit Güte (Segen) belohnt werden.“ Darauf hin verschwand der alte Mann, als hätte er sich in Luft aufgelöst.

Am nächsten Tag betete Liangchen zum Himmel und schwor sich zu ändern. Von nun an achtete er auf jeden seiner Gedanken, auf jede seiner Handlungen, als würden Gottheiten gleich neben ihm stehen. Er lehnte seine schlechten Gedanken ab. Er stellte sicher, dass seine Taten, egal ob groß oder klein, wichtig oder nebensächlich, tatsächlich hilfreich für andere Menschen waren. Mit der Zeit wurde sein Geist ruhiger und gelassener.

Zwei Jahre später bestand Liangchen die Beamtenprüfung und bekam eine Stelle als Lehrer eines Ministers am Hofe. Die ganze Familie zog in die Stadt. Da geschah etwas Sonderbares: Anlässlich des Besuches beim Beamten Yang Gong lernte Liangchen auch dessen Kinder kennen. Ein etwa 16-jähriger Junge kam ihm irgendwie bekannt vor. Er bat den Jungen, den linken Schuh auszuziehen. Und tatsächlich: Der Junge hatte zwei Muttermale auf der Fußsohle. Liangchen wurde ganz aufgeregt und meinte zu dem Beamten, dass dies sein Sohn sein könnte. Der Beamte hatte den Jungen bei sich aufgenommen. Er war damals als Sechsjähriger auf ein Handelsboot geklettert, das daraufhin ablegte und Getreide in die Stadt lieferte.

Der Beamte veranlasste umgehend, dass der Junge zurück zu seinen leiblichen Eltern durfte. Liangchen berichtete davon seiner Frau, die darüber so sehr weinte, dass ihre Augen bluteten. Der verloren geglaubte Sohn kehrte am anderen Tag heim und umarmte seine Mutter lang. Als er ihre Augen küsste, kehrte ihr Augenlicht zurück.

Liangchen trat seine Stelle als Lehrer nicht an, sondern reiste mit Frau und Sohn zurück in die Heimatstadt. Dort arbeitet Liangchen noch härter an sich. Als sein Sohn erwachsen war, heiratete er und hatte sieben gesunde Kinder. Die Wende zum Guten der Familie Yu veranlasste die Leute zu glauben, dass die karmische Vergeltung und die Bemühungen der Selbstverbesserung (Kultivierung) real sind. Auch wurde Liangchen nicht müde, den Leuten die Prinzipen der karmischen Vergeltung zu erläutern und aufzuzeigen, welche Chancen sich darin auch für sie verbargen.

Quelle: „What’s inside counts“, ab Seite 119 aus dem Buch Treasured Tales of China VOL 1, Middle Kingdom Publishing Mount Hope, New York

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